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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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vierzig Grad nördlicher Breite war beträchtlich, und der Winter machte keinen Hehl aus seinen Absichten.
    Sie hatten keine Ahnung, wo sie waren. Nachdem sie einen Monat lang kein Land mehr gesehen hatten, hatte im Grunde sogar die Vorstellung, überhaupt irgendwo zu sein, keine Bedeutung mehr für sie; wäre irgendein Mitglied der Royal Society mit einem neumodischen Instrument zur Messung der geographischen Länge an Bord gewesen, hätten die Zahlen ihnen gar nichts gesagt. Van Hoek stellte Schätzungen auf der Grundlage ihrer Geschwindigkeit an und verkündete einmal, dass sie vermutlich den Meridian überquert hatten, der die östliche von der westlichen Hemisphäre trennt. Auf Nachfragen von Moseh gab er jedoch zu, dass das ebenso gut schon eine Woche her sein oder auch erst nächste Woche passieren konnte.
    Jack sah keinen Unterschied zwischen östlichen und westlichen Gewässern. Sie befanden sich in einem Teil der Welt, der auf den Landkarten des Doktors entweder überhaupt nicht aufgetaucht war (wobei es als schändliche Verschwendung galt, solch eine große Fläche feinen Pergaments leer zu lassen) oder aber von einem riesigen barocken Zierrahmen überdeckt war, in den Wörter mit fünfhundert Meilen hohen Buchstaben gedruckt worden waren und um den barbusige Meerjungfrauen auf Muschelschalen herumschwebten. Die Minerva war unter den Legenden, Windrosen, Analemmas und Zierrahmen, die sich auf den Landkarten und Globen in der ganzen Welt fanden, hindurchgefahren und von allen Seekarten verschwunden, sie hatte aufgehört zu existieren. Jack hatte die Vorstellung von einer jungen Prinzessin, die in ihrem Ankleideraum auf eine Landkarte starrte und unter dem östlichen Rand eines trompe-l’œil des Graveurs, einer verwittert wirkenden Schnörkelverzierung mit der Unterschrift des Kartographen, eine kaum merkliche Bewegung wahrnahm. Sie würde es erst für einen wandernden Silberfisch halten – doch dann würde sie durch ein Vergrößerungsglas schauen und die Umrisse eines gewissen, mit Quecksilber beladenen Schiffs erkennen...
    Immerhin war er nicht der einzige Mann an Bord, der seltsame Visionen hatte, denn eines Tages Anfang November entfuhr dem Ausguck
ein Geheul, in dem sich Furcht und Verwirrung mischten. Da es kein jubelnder Laut war und er zudem von einem Ausguck kam, zog er die Aufmerksamkeit aller an Bord auf sich.
    »Er sagt, dass da in der Ferne ein Schiff ist – aber kein Schiff von dieser Welt«, sagte Dappa.
    »Was zum Teufel soll das heißen?«, fragte van Hoek.
    »Sie segelt auf dem Kopf. Sie hüpft von einer Stelle zur anderen, und ihre Form verändert sich, als wäre sie ein Tröpfchen Quecksilber, das zwischen Meer und Himmel gefangen ist.«
    Jack fand das wunderbar poetisch, aber van Hoek hatte sofort eine langweilige Erklärung parat: »Sag ihm, dass er nur eine Fata Morgana sieht. Es könnte ein anderes Schiff jenseits des Horizonts sein, aber ebenso gut auch eine Spiegelung unseres eigenen. Und da es in einem Umkreis von zweitausend Meilen um uns herum vermutlich kein anderes Schiff gibt, dürfte Letzteres der Fall sein.«
    Aber jeder Mann, der nicht irgendetwas anderes zu tun hatte, erklomm die Wanten und nahm eine Position ein, von der aus er das Schauspiel sehen konnte. Jack kletterte schneller und höher als die meisten anderen. Als Anteilseigner schlief er in einer Kajüte statt unter Deck, und als Engländer ließ er, außer bei einem richtigen Hurrikan, immer seine Fenster offen und war so dem unendlichen Kreislauf aus Schnupfen, Grippe, rheumatischen Beschwerden und fieberhaften Erkrankungen entgangen, der die Mitglieder der Besatzung beutelte. Jedenfalls hatte er mehr Energie und bessere Lungen als sie, und so kletterte er hinauf bis zur Plattform an der Marsstenge: hoch genug, um mit einem Blick die Minerva in ihrer ganzen Länge zu überschauen. Anfangs war die Fata Morgana nicht sichtbar, aber van Hoek sagte, das sei bei solchen Erscheinungen immer so und er solle sich in Geduld fassen. Während Jack sich also auf seiner Plattform in Geduld fasste, schaute er auf die Mannschaft hinab, die sich die Wanten hochkämpfte und hustend, spuckend und sich kratzend, genau wie das Publikum in einem Theater, darauf wartete, dass das Schauspiel begann. Der Vergleich war im Übrigen gar nicht so schlecht. Aus dem Blickwinkel einer Prinzessin im Ankleidezimmer war die Minerva unter einem reich verzierten Meerjungfrauen-Schmuckrahmen verschwunden. Vom Standpunkt der Minerva aus war es

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