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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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nicht aufhören wollte zu glühen, so als hätte sich ein Funke von der Sonne gelöst und wäre dort stecken geblieben. Er lag über dem Horizont, in derselben Position wie die Rauchsäule oder Wasserhose, die sie zuvor gesehen hatten. Van Hoek revidierte jetzt seine Erklärung: Höchstwahrscheinlich sei es eine auf den Seekarten nicht verzeichnete Vulkaninsel mitten im Pazifik. Als solche sei sie vielleicht nicht mehr als ein heißer Felsen. Andererseits könne es auf ihr aber auch Süßwasserbäche geben, und Vögel, die man
schießen und essen könne. Im Nu lief allen auf dem Schiff das Wasser im Mund zusammen. Deshalb befahl er eine Kursänderung und ließ mehr Segel setzen, da am nächsten Tag ein Unwetter hereinbrechen und es schwierig machen könnte, den Vulkan zu sehen, und leicht, auf ihn aufzulaufen.
    Zunächst schätzte er die Entfernung zu dem Vulkan auf hundert Seemeilen oder mehr. Aber das Licht (das sie erst nur dank seiner Reflektion an einer darüberliegenden Wolkenschicht gesehen hatten) schoss fast unmittelbar über dem Horizont hoch, und van Hoek halbierte seine Schätzung. Als dann ein Flackern in diesem Licht deutlich sichtbar wurde, halbierte er sie noch einmal. Schließlich erklärte er, dies sei kein Vulkan, sondern etwas völlig anderes, und dann war allen klar, dass die Entfernung zwischen ihnen und was immer es war nicht mehr als ein paar Seemeilen betrug. Van Hoek befahl, ihre Geschwindigkeit vorsichtig zu drosseln. Alle Mann waren jetzt an Deck und stießen, von dem Licht geblendet, überall an.
    Sie waren jetzt nahe genug, um zu sehen, dass es ein gewaltiges Feuer war, das wie durch ein Wunder mitten auf der Wasseroberfläche des Ozeans entzündet worden war. Ein Prasseln und Tosen drang aus ihm heraus, und es wogte und streckte sich mühelos, wobei es sich manchmal aufschwang und Hunderte von Yard schnurgerade in die Luft stieg, um sich dann wieder zu ducken und über die zischende Oberfläche der ruhigen See auszubreiten. Zuweilen wurden in seinem Zentrum schwarze Formen sichtbar: Andeutungen massiver Spanten und ein in Feuer gehüllter brennender Mast. Grüne, rote und blaue Funken tänzelten hier und da, als exotische orientalische Farbstoffe und Mineralien von den Flammen umzüngelt wurden.
    Irgendwann konnten sie nicht mehr so tun, als hörten sie die Schreie nicht. » Socorro! Socorro !« Das spanische Wort für Hilfe klang eher sorgenvoll als drängend. Es wurden Stimmen laut, die darauf drängten, näher heranzufahren, aber »Wir warten das Pulvermagazin ab«, war alles, was van Hoek sagte. Jack sah, wie eine glühend rote Kanone schließlich durch die verkohlten Holzbalken brach, die sie getragen hatten. Schwerfällig stürzte sie in die Bilge und stieß eine mächtige Dampfwolke aus, die den Feuerschein vernebelte und verdüsterte. Ein einzelner Mann mit einer sehr lauten Stimme schrie: » Socorro! Socorro !« Aber dann ging er zu einem lateinischen Gebet über.
    Das hatte er gerade zur Hälfte gesprochen, als das gesamte Schießpulver der Manila-Galeone auf einmal explodierte. Brennende
Decksplanken sausten, von der Luft zur Weißglut einer Esse angefacht, unter pfeifenden Geräuschen in alle Richtungen davon und verkohlten rasch zu schwarzen Stücken, die überall um sie herum zischend ins Wasser klatschten. Manche landeten auf der Minerva und sengten kleine Löcher in seine Segel oder entfachten kleine Feuer auf dem Deck, aber van Hoek hatte längst dafür gesorgt, dass Männer mit Eimern bereitstanden, und so wurden alle Flammen schnell gelöscht.
    Erst kurz vor Morgengrauen konnten sie einen ernsthaften Versuch unternehmen, nach Überlebenden zu suchen. Das Beiboot war auseinandergenommen und verstaut worden, und in der Dunkelheit dauerte es Stunden, seine Einzelteile wieder herauszuholen und zusammenzusetzen und es zu Wasser zu lassen. Obwohl niemand sich die Blöße gab, es offen auszusprechen, war klar (wie auch sonst), dass ohnehin schon alle an Bord der Minerva am Verhungern waren und die Lage mit jedem Überlebenden, der aus dem Wasser gefischt wurde, nur noch schlimmer würde.
    Bei Tagesanbruch bestiegen sie das Beiboot und ruderten langsam auf das zu, was einmal die Galeone gewesen war. Bis auf die Wasserlinie abgebrannt, glich sie jetzt einem Schuh, einer Sohle, die im Pazifik schwamm und höchstwahrscheinlich mit Wasser volllaufen und sinken würde, sobald der Wellengang stärker wurde. Die Wasseroberfläche war mit Locken aus Zimtrinde gesprenkelt, von denen

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