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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Gastgeber der Gesellschaft und muss alles in meiner Macht Stehende tun, um unsere Gäste zufriedenzustellen – einer davon ist übrigens Seine Majestät der König von Frankreich...«
    »Oooh! Wann ist le Roi eingetroffen?«
    »Kurz nach Eurer Abfahrt, Mutter.«
    »So etwas kann nur mir passieren. Was wünschen Seine Majestät und die anderen Gäste?«
    »Sie möchten das Maskenspiel sehen. Das sofort beginnen kann.«
     
    Ein Ende des großen Ballsaals von La Dunette war in den Ärmelkanal verwandelt worden. Pappmaché-Wellen mit Gipsschaum – auf Exzenter montiert, damit sie in mehr oder weniger überzeugendem Schäumen umherkreisten – waren zu vielen parallelen, sich unabhängig voneinander bewegenden Reihen angeordnet, die sich zur hinteren Wand des Raum hinzogen und leicht anstiegen, sodass jeder Zuschauer auf der Tanzfläche die gesamte Breite des »Kanals« von »Dünkirchen« (die Silhouette einer Festung im Bühnenvordergrund) bis »Dover« (weiße Klippen und grüne Felder im Bühnenhintergrund) überschaute. Links von der Bühne befand sich ein kleines Gehege, in dem eine Kapelle auf Violen herumfiedelte. Rechts von der Bühne befand sich die Königsloge, wo König Ludwig XIV. von Frankreich auf einem goldenen Stuhl saß, zu seiner Rechten die Marquise de Maintenon, die eher für eine Beerdigung als für eine Weihnachtsgesellschaft angezogen war. Hinter ihnen drängte sich ein Gefolge. Darin so weit vorne, dass er der Maintenon die Hand hätte auf die Schulter legen können, saß Pater Édouard de Gex – eine leibhaftige Mahnung, sich jeglicher Anzüglichkeiten zu enthalten. Nicht dass Madame la Duchesse d’Arcachon dergleichen je in den Sinn gekommen wäre; aber sie hatte Künstler und Komödianten engagiert, um das Stück zu produzieren,
und man wusste nie, auf was für Ideen solche Leute kamen.
    Der Titel der Inszenierung lautete La Métamorphose. Hauptdarsteller und Ehrengast war ein gewisser Leutnant Jean Bart, der von dem, was man bei einem Maskenspiel auf der Bühne zu tun hatte, ebenso wenig verstand wie ein Komödiant von einem Seegefecht; aber das war gleich, denn man hatte alles auf ihn und seine schauspielerischen Defizite zugeschnitten. Die Anfangsnummer spielte am Strand von Dünkirchen. Eine Meerjungfrau, die auf einer Klippe saß, sah zu, wie Jean Bart und seine Männer (als Korsaren kostümierte Tänzer) einer improvisierten Messe beiwohnten, die am Strand gefeiert wurde. Abgang Priester. Jean Bart führte seine Männer auf seine Fregatte (die nicht größer als ein Ruderboot, aber kunstreich mit Masten, da- und dorthin sprießenden Rahen und Lilienbannern ausgestattet war). Die Fregatte stach in die tanzenden Wellen des Kanals und nahm Kurs auf England. Die auf der rechten Vorderbühne allein gebliebene Meerjungfrau sang eine Arie über ihren Liebeskummer; denn sie hatte sich in den gut aussehenden Leutnant verliebt (in einer früheren Version hatte keine Messe am Strand stattgefunden, sondern das Stück hatte damit begonnen, dass Jean Bart in leichtbekleidetem Zustand ausgestreckt auf dem Felsen lag und von der Meerjungfrau mit Trauben gefüttert wurde; doch die Herzogin hatte ein paar ernste Worte mit den Schauspielern gewechselt und die Stelle geändert).
    Nun tauchte Neptun aus den Wellen auf und sang ein Duett mit der Meerjungfrau, seiner Tochter. Er wollte wissen, warum sie so trübsinnig war. Als er die Antwort vernahm, wurde er böse auf Jean Bart und schwor, Rache an ihm zu nehmen, und zwar nach herkömmlicher Götterart, das heißt, indem er ihn einer unangenehmen Metamorphose unterzog.
    In der nächsten Szene kämpfte Jean Barts Fregatte mit einer größeren englischen, und es war viel Geschwinge an Tauen und fingiertes Degenfechten zu sehen, wobei sich Bart sehr hervortat. Als er gerade den Siegeslorbeer ergreifen wollte, erschien der zornige Neptun und verwandelte Bart mit einem Stoß seines Dreizacks unterm Grollen von Kesselpauken in eine Katze (was dieser dadurch verdeutlichte, dass er sich eine Maske aufsetzte, während alles von der Schauspielkunst des Meeresgottes abgelenkt war). Weil Katzen keine Befehle geben können und außerdem wasserscheu sind, verloren seine Leute jede Ordnung und wurden allesamt von den Engländern gefangen genommen.

    Die nächste Szene spielte weit hinten auf der Bühne, an der englischen Küste, wo die französischen Seeleute in einem Gefängnis in Plymouth eingepfercht waren, durch vergitterte Fenster auf den Kanal hinausstarrten und

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