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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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zweierlei: erstens, dass sie wirkliche Zuneigung für Euch empfindet, und zweitens, das sie befürchtet, jemand könnte Euch übelwollen.«
    Eliza brachte kein Wort heraus. Über Rossignols Schulter hinweg suchte sie die Menge nach d’Avaux ab, und da sie ihn nicht sah, zwang sie Rossignol zu einer raschen Drehung, damit sie auch die andere Hälfte des Saals sehen konnte.
    »Ich bitte um Verzeihung, aber wer von uns führt eigentlich, Mademoiselle?«, fragte Rossignol. »Nach wem sucht Ihr? Denkt Ihr an jemanden, der Euch übelwill? Seid Euch Eurer ersten Vermutungen nicht allzu sicher – das ist bei der Kryptoanalyse ein häufiger Fehler.«
    »Wisst Ihr, wer...«
    »Wenn ja, würde ich es Euch sagen, und sei es nur aus dem Grund, dass ich irgendwann noch einmal eine Schlittenpartie genießen möchte. Aber nein, Mademoiselle, ich habe keinerlei Vermutung, wer es ist, dessentwegen sich die Herzogin solche Sorgen macht.«

    »Um Vergebung, aber darf ich unterbrechen?«, sagte eine Männerstimme hinter Eliza.
    »Wir sind beschäftigt!«, fauchte Eliza, denn sie war den ganzen Abend von Männern belästigt worden. Doch Rossignol hatte zu tanzen aufgehört. Er löste sich von Eliza, trat einen Schritt zurück und verbeugte sich tief.
    Eliza wirbelte herum und sah König Ludwig XIV., der die Verbeugung mit einem Blick voller Zuneigung quittierte. Er mochte seinen Codebrecher.
    »Aber gewiss seid Ihr das, Mademoiselle«, sagte der König von Frankreich. »Wenn meine beiden klügsten Untertanen die Köpfe zusammenstecken und miteinander reden, wie könnten sie dann nicht mit etwas beschäftigt sein? Aber ihr macht so ernste Gesichter! Das passt nicht zu einer Weihnachtsfeier!« Er hatte irgendwie Elizas Hand ergriffen und zog sie in die Schrittfolge des Tanzes. Eliza war ebenso unfähig, etwas Kluges zu sagen, wie kurz zuvor.
    »Ich habe Euch vieles zu verdanken«, sagte Ludwig XIV.
    »Aber nein, Eure Majestät, nicht...«
    »Hat Euch nie jemand gesagt, dass es sich nicht gehört, dem König zu widersprechen?«
    »Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät...«
    »Monsieur Rossignol hat mir erzählt, Ihr hättet meiner Schwägerin vergangenen Herbst einen Gefallen getan«, sagte der König. »Oder vielleicht auch dem Prinzen von Oranien; das ist nicht ganz klar.«
    Nun ereignete sich etwas, was Eliza nur ein paarmal in ihrem Leben passiert war: Sie verlor das Bewusstsein oder kam dem doch sehr nahe. Etwas Ähnliches war passiert, als sie und ihre Mutter am Strand von Qwghlm verschleppt und auf die Barkasse der Barbarei-Korsaren verfrachtet worden waren. Ein paar Jahre später war es wieder passiert, als man sie zum Hafen von Algier geschafft und für einen Schimmelhengst an den Sultan von Konstantinopel verkauft hatte – ihrer Mutter entrissen hatte, ohne ihr auch nur Gelegenheit zu geben, sich zu verabschieden. Und ein drittes Mal unter dem Kaiserpalast in Wien, als man sie und andere Odalisken in einer Reihe aufgestellt hatte, um sie zu enthaupten. Bei keiner dieser Gelegenheiten war sie tatsächlich zusammengebrochen, und das tat sie auch jetzt nicht. Aber es hätte durchaus passieren können, wenn Ludwig XIV., ein großer, eleganter und kräftiger Mann, sie nicht mit festem Griff um die Taille festgehalten hätte.

    »Kommt wieder zu Euch«, sagte er – und das nicht zum ersten Mal, vermutete sie. »Na bitte. Ihr seid wieder bei Euch. Ich sehe es Eurem Gesicht an. Was fürchtet Ihr so sehr? Seid Ihr von jemandem bedroht worden? Dann sagt mir, wer es war.«
    »Niemand Spezielles, Eure Majestät. Der Prinz von Oranien...«
    »Ja? Was hat er getan?«
    »Was er getan hat, kann ich Euch nicht sagen; aber er hat gesagt, ich müsse für ihn spionieren oder er würde mich zur Belustigung der Matrosen auf ein nach Nagasaki gehendes Schiff bringen lassen.«
    »Ah. Das hättet Ihr mir sofort sagen müssen.«
    »Dieses Versäumnis – dass ich nicht völlig offen zu Euch gewesen bin – ist die eigentliche Ursache meiner Furcht, Eure Majestät, denn ich bin nicht ohne Schuld.«
    »Das weiß ich. Sagt mir, Mademoiselle, was treibt Euch, dass Ihr solche Entscheidungen trefft? Was wollt Ihr?«
    »Den Mann finden, der mir Unrecht getan hat, und ihn töten.« In Wirklichkeit hatte Eliza daran schon so lange nicht mehr gedacht, dass der Gedanke, noch während ihr die Worte über die Lippen kamen, in ihren Ohren seltsam klang; doch sie sagte es voller Überzeugung, und ihr gefiel, wie es klang.
    »Gewisse Dinge, die Ihr getan habt, haben

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