Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
Vom Netzwerk:
sogar noch sicherer; denn ich habe nichts, womit ich spekulieren könnte«, sagte Eliza.
    »Ich werde sämtliche Gold- und Silbermünzen einziehen«, sagte Pontchartrain.
    »Sämtliche? Im ganzen Land!?«, rief die Herzogin aus.
    »In der Tat, Madame. Wir werden neue louis aus Gold und Silber prägen und sie gegen die alten austauschen.«
    »Du lieber Himmel! Zu welchem Zweck?«
    »Die neuen werden mehr wert sein, Madame.«
    »Heißt das, sie werden mehr Gold oder Silber enthalten, Monsieur?«, fragte Eliza.
    Pontchartrain bedachte sie mit einem nachsichtigen Lächeln. »Nein, Mademoiselle. Sie werden genau die gleiche Menge Gold oder Silber enthalten wie diejenigen, die wir jetzt benutzen – aber sie werden mehr wert sein, und um, sagen wir, neun louis d’or der neuen Münze zu erhalten, wird man dem Finanzamt zehn der alten bezahlen müssen.«
    »Wie könnt Ihr sagen, die gleiche Münze sei auf einmal mehr wert?«
    »Wie können wir sagen, sie sei das wert, was sie jetzt wert ist?« Pontchartrain warf die Hände hoch, als wollte er Schneeflocken fangen. »Die Münzen haben einen per königlichem Dekret festgelegten Nennwert. Ein neues Dekret, ein neuer Wert.«
    »Ich verstehe. Aber es hört sich wie ein Projekt an, bei dem aus nichts etwas gemacht werden soll – wie ein Perpetuum mobile. Irgendwo, irgendwie muss es auf irgendeine unergründliche Weise Auswirkungen haben.«
    »Durchaus möglich«, sagte Pontchartrain, »aber ich kann nicht erkennen, wo und wie genau. Ihr müsst verstehen, dass der König mich
aufgefordert hat, seine Einkünfte zu verdoppeln, damit er den Krieg bezahlen kann. Zu verdoppeln! Die üblichen Steuern und Zölle sind bereits versiegt. Ich muss zu neuartigen Maßnahmen greifen.«
    »Jetzt verstehe ich, warum Ihr Euch von Frankreichs größten Gelehrten beraten lassen möchtet«, sagte die Herzogin. Worauf sich aller Augen auf Rossignol richteten. Doch dieser hatte plötzlich die Füße gegen den Boden gestemmt und den Kopf zurückgeworfen. Ein paar Augenblicke lang starrte er aus halbgeschlossenen Augen zum indigofarbenen Himmel auf und hielt den Atem an; dann atmete er aus und nahm einen tiefen Zug von der kalten Luft.
    »Ich glaube, Monsieur Rossignol ist soeben von einer plötzlichen mathematischen Erkenntnis ergriffen worden«, sagte Pontchartrain mit leiser Stimme. »Es heißt, Descartes habe seine große Idee in einer Art religiöser Vision empfangen. Ich war da bis zu diesem Moment skeptisch, denn der bloße Gedanke erschien mir blasphemisch. Aber der Ausdruck in Monsieur Rossignols Gesicht, als er diesen Code knackte, glich unverkennbar dem eines Heiligen auf einem Fresko, wenn er vom Heiligen Geist in epiphanische Verzückung versetzt wird.«
    »Werden wir dergleichen im salon denn häufiger erleben?«, fragte die Herzogin und bedachte Rossignol mit einem sehr zweifelnden Blick.
    »Nur gelegentlich«, versicherte Eliza ihr. »Aber vielleicht sollten wir das Thema wechseln und Monsieur Rossignol Gelegenheit geben, seine fünf Sinne zusammenzunehmen. Reden wir über... Pferde!«
    »Pferde?«
    » Diese Pferde«, sagte Eliza und wies mit einer Kopfbewegung auf die zwei, die den Schlitten zogen.
    Sie und Rossignol saßen in Fahrtrichtung. Die Herzogin und der Graf mussten sich umdrehen, um zu sehen, was sie betrachtete. Eliza machte sich das zunutze, um sich die Hand an Rossignols Unterhose abzuwischen und sie zurückzuziehen. Rossignol zerrte sich schwächlich die Hose hoch.
    »Gefallen sie Euch?«, fragte die Herzogin. »Louis-François ist ungemein stolz auf seine Pferde.«
    »Bis jetzt hatte ich sie nur von weitem gesehen und angenommen, es handele sich schlicht um Schimmel. Aber sie sind mehr als das; es sind Albinos, nicht wahr?«
    »Diese Unterscheidung verstehe ich nicht«, gab die Herzogin zu, »aber so nennt sie Louis-François. Wenn er aus dem Süden zurückkommt,
wird er Euch mit Vergnügen mehr erzählen, als Ihr hören wollt!«
    »Sieht man sie denn häufiger? Haben viele Leute hier welche?«, fragte Eliza. Aber sie wurden unterbrochen, und zwar ausgerechnet von einem Mann, der ein Albino-Pferd ritt: Étienne de Lavardac d’Arcachon, der ihnen vom Château aus nachgeritten war. »Ich bin untröstlich, Euch auf diese Weise stören zu müssen«, sagte er, nachdem er alle einzeln und in strikter Rangfolge begrüßt hatte (zuerst die Herzogin, dann Pontchartrain, Eliza, die Pferde, den Mathematiker und den Kutscher), »aber in Eurer Abwesenheit, Mutter, fungiere ich als

Weitere Kostenlose Bücher