Confusion
Götter und Göttinnen am Firmament hielt, setzte sich nun knirschend und ächzend in Bewegung und zog die olympischen Gestalten hinauf oder hinweg, sodass Jean Bart allein auf der Bühne zurückblieb, um eine Ovation des Publikums entgegenzunehmen. Er drückte die Uniform an seine Brust, wandte sich zur rechten Bühnenseite und verbeugte sich ganz tief vor dem König.
Das hatte zur Folge, dass ihm der Lorbeerkranz vom Kopf fiel. Er bekam ihn gerade noch zu fassen, ehe er den Boden berührte, und alle im Saal machten gleichzeitig »Oh!« Dann, einer spontanen Eingebung folgend, richtete er sich auf und warf den Kranz Ludwig XIV. zu, der ihn sicher auffing. Alle im Saal machten »Ah!« Der König, nicht im mindesten aus der Fassung gebracht, führte den Lorbeer an seine Lippen und küsste ihn, was den versammelten Adeligen von Versailles laute Jubelrufe entlockte. Diesen einen Moment lang war in Frankreich alles in bester Ordnung.
Auf der Soirée passierte noch viel mehr, doch das mutete alles wie ein Nachklapp zu dem Maskenspiel an. Kapitän Jean Bart zog umgehend seine rote Uniform an; dann tanzte er die ganze Nacht mit sämtlichen anwesenden Damen. Ausnahmsweise wurde Eliza einmal von der Heftigkeit der Konkurrenz aus dem Konzept gebracht; denn um mit Kapitän Bart zu tanzen, musste man von ihm aufgefordert werden, und das hieß, man musste ihn sehen oder wenigstens hören können; und am Ende jedes Tanzes war der Mann in Rot sofort von einem Wall hübscher Seiden- und Satinkleider umgeben, da sich sämtliche hoffnungsvollen jungen Damen – die meisten größer als er – um ihn scharten und ihn auf sich aufmerksam machen wollten. Eliza war zierlich und von daher völlig chancenlos. Außerdem hatte sie gewisse Verpflichtungen als Gastgeberin. Die Herzogin hatte ihr gestattet, der Gästeliste einige Namen hinzuzufügen. Eliza hatte vier unbedeutende Höflinge und deren Frauen eingeladen: alles Kleinadelige aus Nordfrankreich, die dem Schatzamt Geld geliehen und Befestigungen entlang der Kanalküste gebaut hatten. Dies hatten sie eben in der Hoffnung getan, dass sie daraufhin zu Gesellschaften wie dieser eingeladen würden. Nun waren ihre Pläne in Erfüllung gegangen; aber sie verließen sich darauf, dass Eliza sich um gewisse Einzelheiten wie zum Beispiel die Honneurs kümmerte. Jeder von ihnen hatte kürzlich eine Audienz bei Pontchartrain gehabt und ein Darlehensdokument erhalten, das dem von Eliza ganz ähnlich war, allerdings einen kleineren Betrag auswies; nun bildete sich jeder ein, dass ihn dies dazu berechtigte, sich den ganzen Abend an Pontchartrains Fersen zu heften und ausführlich und gleichberechtigt an jedem Gespräch teilzunehmen, das der contrôleur-général führen mochte. Damit der Graf ihr gewogen blieb, musste Eliza ihnen durch das Château folgen und sie jedes Mal unter irgendeinem Vorwand weglotsen, wenn sie Höhergestellten auf die
Nerven zu gehen begannen. Schon das war Arbeit genug für einen Abend; außerdem aber wurde von ihr erwartet, dass sie als Étiennes nominelle Freundin mindestens zwei Mal mit diesem tanzte. Und da sie Rossignol im Schlitten von Hand befriedigt hatte, wäre es schlechter Stil gewesen, nicht auch mindestens ein Mal mit ihm zu tanzen.
Rossignol tanzte wie ein Kryptoanalytiker: perfekt, aber mit wenig Selbstausdruck. »Ihr habt das Gespräch über die Seife nicht verstanden«, sagte er zu ihr.
»Monsieur, hat man es so deutlich gemerkt? Bitte erklärt es mir!«
»Was glaubt Ihr, wo all diese ehrgeizigen Höflinge zur Zeit der Giftanschläge vor zehn Jahren ihr Arsen herbekamen? Ganz sicher nicht durch eigener Hände Arbeit, denn in praktischen Dingen sind sie hilflos. Auch nicht von Alchimisten, denn die bezeichnen sich selbst als Heilige. Wer außer Alchimisten hat Mörser und Stößel, Bottiche, Retorten und Möglichkeiten, exotische Zutaten zu bekommen?«
»Seifenmacher!«, rief Eliza aus und spürte, wie sie errötete.
»Einige Wäscherinnen trugen in jenen Tagen Handschuhe«, sagte Rossignol, »weil ihre Herrinnen sie nach Paris schickten, um Seife zu kaufen, die mit Arsen versetzt war. Mit dieser Seife wuschen sie dann die Kleidung des Gatten, der das Gift über die Haut aufnahm. Dass eine Herzogin auf ihrem eigenen Besitz ihre eigene Seife herstellt, ist also mehr als eine wunderliche Tradition. Es ist eine Methode, sich und ihre Liebsten zu schützen. Wenn sie Euch, Mademoiselle, anbietet, ihre Seife und ihre Wäscherei zu benutzen, so bedeutet das
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