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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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sich sehr ausführlich nach Frankreich sehnten. Das war der bei weitem fadeste Teil der Inszenierung und bot so mancher Gräfin Gelegenheit, sich die Nase zu pudern; zusammengefasst lief es darauf hinaus, dass die Meerjungfrau, nachdem sie ihr Klagelied gehört und die ohne eigenes Verschulden eingekerkerten, tapferen französischen Seeleute ausfindig gemacht hatte, ihren Vater bat, den Zauber zu lösen, mit dem er Jean Bart belegt hatte. Was dieser widerwillig tat, allerdings erst, nachdem Bart in seiner kleineren felinen Gestalt zwischen den Stäben seiner Zelle hindurch nach draußen geschlüpft und zum Strand geeilt war. In einen Mann zurückverwandelt, stieg er in ein Ruderboot, stieß es vom Ufer vor Plymouth ab und ruderte nach Frankreich.
    Als Jean Bart diese Heldentat einige Monate zuvor in Wirklichkeit vollbracht hatte, hatte er dafür zweiundfünfzig Stunden gebraucht. Diese waren hier zu einer runden Viertelstunde verdichtet. Das Verstreichen von zwei Tagen, zwei Nächten und vier Stunden wurde folgendermaßen angedeutet: In einem goldenen, an Drahtseilen an einer Schiene unter der Decke aufgehängten Wagen erschien tief im Osten (Bühne links) Apollo, überquerte, die ganze Zeit eine Arie singend, in großem Bogen die gesamte Bühne und senkte sich genau in dem Moment im Westen (Bühne rechts) herab, in dem seine Schwester Diana in einem silbernen Wagen von der linken Bühnenseite aus gestartet wurde. Als sie sich im Westen herabsenkte, erschien Apollo aufs Neue (denn man hatte seinen Wagen losgehakt und war damit hinten um das Schloss herumgeeilt) auf der linken Bühnenseite und sang sich durch den zweiten Tag von Jean Barts epischer Ruderpartie. Dann sang sich Diana durch die zweite Nacht. Während des ersten Tages und der ersten Nacht machten sich beide noch über die Jammergestalt unter ihnen lustig und weigerten sich zunächst zu glauben, dass jemand die Dummheit oder Hybris besitzen könne, mit einem Boot von Plymouth nach Frankreich zu rudern. Während des zweiten Tages und der zweiten Nacht begannen sie buchstäblich einen anderen Ton anzuschlagen: Verblüfft darüber, dass Jean Bart noch am Leben war und immer noch pullte, begannen sie sein Loblied zu singen und ihn anzufeuern.
    Das Ganze schloss am Ende der zweiten Nacht damit, dass Diana
rechts auf der Bühne herabsank, Apollo links aufstieg und Jean Bart in der Mitte verzweifelt versuchte, die letzte Meile in die Freiheit zu rudern. Apollo und Diana sangen ein Duett, mit dem sie ihn anspornten; und schließlich tauchte Neptun (vielleicht weil er von ihrem Gejaule genug hatte) aus den Wellen auf, sang noch eine zusätzliche Strophe darüber, was für ein prächtiger Bursche Jean Bart sei, und gebot, indem er seinen Dreizack hob, den Wellen des Meeres, den Helden sicher ans Ufer zu geleiten. Was diese auch taten, und zwar in Form von vier blau geschminkten Tänzern, die schaumige weiße Mützen trugen.
    Selbst in diesem Publikum, dem einige der abgestumpftesten und zynischsten Menschen der Welt angehörten, blieb kaum ein Auge trocken, als Jean Bart, von einer Flutwelle patriotischer Musik begleitet, schließlich auf den Strand wankte, an dem alles begonnen hatte; doch gerade als die Gäste in Beifall ausbrachen, schwebte ein weiterer, in Gold gekleideter und mit einem Lorbeerkranz gekrönter Gott, der einen Blitzstrahl schwenkte, vom Gebälk herab: jawohl, Jupiter persönlich, aber mit typisch französischen Zügen aufgeputzt, um ihn zu einem Hybriden zwischen Frankreich und dem Götterkönig zu machen oder vielmehr anzudeuten, dass es zwischen den beiden keinen wesentlichen Unterschied gab. Apollo, Diana und Neptun waren erstaunt und bezeigten ihm ihre Reverenz; der unbekümmerte Jean Bart bedachte Jupiter mit der am Hofe zu Versailles üblichen Verbeugung. Jupiter war gekommen, um seine Entscheidung zu fällen, die darin bestand, dass Jean Bart es in der Tat verdiente, einer Metamorphose unterworfen zu werden: allerdings einer ganz anderen als der in eine Katze. Er reichte ein in goldenes Papier gewickeltes und mit einem Lorbeerkranz bekröntes Päckchen herab, Merkur nahm es entgegen, stolzierte eine Zeitlang in einem überflüssigen Solo umher und übergab es schließlich Jean Bart, dem er dabei den Lorbeerkranz aufsetzte. Leutnant Bart öffnete das Päckchen. Etwas Rotes quoll heraus. Er hielt es hoch, und es entfaltete sich: der lange rote Rock und die roten Hosen eines Kapitäns der französischen Flotte.
    Das Tauwerk, das die diversen

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