Congo
groß. Die Wände waren nackt und ohne jeden Schmuck. Sie fanden nach all den Jahrhunderten keinerlei von Menschenhand hergestellte Gegenstände mehr — bis schließlich Elliot ein Paar mit kurzen Griffen versehene, scheibenförmige Steinplatten entdeckte, zwischen denen die Bewohner wahrscheinlich Gewürze oder Getreide gemahlen hatten.
Die Leere, die seltsame Unauffälligkeit der Stadt erschien ihnen immer beunruhigender, je weiter sie vorankamen. Außerdem war sie auch unbequem, da sie so keine rechte Möglichkeit hatten, eine Stelle von der anderen genau zu unterscheiden. Schließlich verfielen sie darauf, den verschiedenen Gebäuden willkürliche Namen zu geben.
Als Karen Ross in der Wand eines Raums eine Reihe von Öffnungen entdeckte, die wie Brieffächer aussahen, erklärte sie, dies müsse ein Postamt sein und von da an hieß das Gebäude bei ihnen »das Postamt«.
Sie stießen auch auf eine Reihe kleiner Räume mit Löchern für Holzstangen.
Munro nahm an, dies seien Gefängniszellen wenn auch äußerst kleine — gewesen. Karen Ross sagte, vielleicht seien die Menschen kleinwüchsig gewesen, oder man habe die Zellen absichtlich klein gehalten, um so die Strafen zu verschärfen. Elliot meinte, vielleicht seien es die Käfige eines Zoos gewesen. Aber warum waren die Käfige dann alle gleich groß? Munro wiederholte unter Hinweis darauf, daß nichts zum Betrachten von Tieren vorgesehen sei, seine Überzeugung, es müsse ein Gefängnis gewesen sein — und so wurden die Räume »das Gefängnis« genannt. In seiner Nähe fanden sie auch einen großen, freien Hof, den sie »Stadion« nannten. Offensichtlich hatte er als Sport-oder Exerzierplatz gedient. In dem »Stadion« standen vier hohe Steinsäulen mit einem zerbröckelnden, steinernen Ring an der Spitze. Allem Anschein nach waren sie für ein Ballspiel wie Schlagball gebraucht worden. In einer Ecke des Platzes befand sich eine Art Reckstange — allerdings nur anderthalb Meter über dem Boden. Was Elliot zu der Annahme veranlaßte, daß es sich um einen Kinderspielplatz handelte. Karen Ross erinnerte an ihre Theorie von der Kleinwüchsigkeit der Bewohner, während Munro der Ansicht zuneigte, der Hof müsse ein militärischer Exerzierplatz gewesen sein.
Während sie weitersuchten, waren sie sich alle darüber im klaren, daß ihre Reaktionen lediglich ihre vorgefaßten Meinungen widerspiegelten. Die Stadt war so neutral, die Ruinen, sie verrieten so wenig, daß sie wie auf einen Rorschach-Test reagierten. Sie brauchten jedoch objektive Informationen über die Menschen, die die Stadt gebaut hatten, und über ihre Lebensgewohnheiten.
Daß es solche Angaben in Hülle und Fülle gab, merkten sie erst sehr spät. In vielen Räumen war die eine oder andere Wand mit schwarzgrünem Schimmel überzogen. Munro stellte fest, daß der Schimmel nicht in irgendeinem Verhältnis zum Licht, das durch ein Fenster fiel, oder zu Luftströmungen oder anderen erkennbaren Faktoren wuchs. In manchen Räumen überzog er eine Wand in einer dicken Schicht halb bis zum Boden und hörte dann in einer scharfen horizontalen Linie auf, als hätte man ihn mit einem Messer abgeschnitten.
»Sehr sonderbar«, sagte Munro, während er den Schimmelbewuchs näher ins Auge faßte und mit dem Zeigefinger darüberfuhr. Sein Finger war mit Spuren blauer Farbe bedeckt. So entdeckten sie schließlich die kunstvollen, einst bemalten Bas-Reliefs, die überall in der Stadt vorhanden waren.
Doch der Schimmelbelag auf den unregelmäßigen Oberflächen und die Auswaschung des Kalksteins vereitelte jeden Versuch einer Deutung.
Beim Lunch im Lager sagte Munro, es sei zu schade, daß sie nicht ein paar Kunsthistoriker mitgebracht hätten, die diese Bilder hätten sichern können. »Mit ihren Lampen und ihren technischen Geräten würden sie sofort sehen, was da war«, sagte er. Das brachte Karen Ross auf einen Gedanken. Die neuesten Untersuchungsmethoden für Kunstwerke, wie sie von Degusto und anderen angewendet wurden, arbeiteten mit Infrarotlicht und Bildverstärkung — und sie verfügte über die notwendigen Geräte, um auf der Stelle nach diesem Verfahren vorzugehen. Zumindest war es einen Versuch wert. Nach dem Essen machten sie sich wieder auf den Weg zu den Ruinen und schleppten die Videokamera, eine der Infrarotleuchten und den kleinen Computer-Anzeigeschirm mit. Nach einer Stunde Basteln hatten sie ein System ausgearbeitet.
Sie konnten die Darstellungen an den Wänden rekonstruieren, indem
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