Coogans Fluch (German Edition)
Doch müssen Sie mich nun entschuldigen. Meine Gehilfin Dorothy hat heute frei und ich muss das Abendessen der Gäste vorbereiten. Sie können ja schon mal im Speisezimmer Platz nehmen und gleich mit uns essen. Ein zusätzliches Steak wird sich schon finden und bis das Badewasser warm genug ist, dauert es sowieso noch eine Weile. Kommen Sie, hier entlang.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete sie eine der Türen neben Jonathan und wies ihren neuen Gast zu einem massiven Tisch in der Raummitte. „Ihren Mantel können sie hier an die Garderobe hängen, Mister McLeary. Die Formalitäten erledigen wir nach dem Essen. Für das Zimmer bekomme ich sechs Dollar die Nacht, im Voraus, die Mahlzeiten gehen extra. Entschuldigen Sie mich nun einen Augenblick, ich muss wieder in die Küche, die anderen Gäste kommen sicher gleich. Ach ja …“, rief sie bereits im Gehen über die Schulter, „Kaffee finden Sie in der Kanne auf dem Ofen, Wasser oder Bier in der Truhe daneben. Whisky dulde ich nicht im Haus.“
„Danke.“ Mehr vermochte Jonathan nicht zu sagen, denn Sally war schon durchs Foyer in die Küche verschwunden. Jonathan machte es sich auf einem der Stühle bequem und streckte seine Beine unter den Tisch, während aus der Küche geschäftiges Klappern zu ihm drang. Ohne richtig wahrzunehmen, glitten seine Augen über das spärliche Mobiliar, nichts vom aufgeblasenen Prunk, der sonst in den Hotels der Goldgräberstädte üblich war. Seine Gedanken schweiften ab. Die Ähnlichkeit Sallys mit Miriam machte ihm geradezu zu schaffen. War dies ein schlechter Scherz des Schicksals, oder hatte es gar nichts zu bedeuten?
Miriam. Seit Wochen hatte Jonathan ihre Stimme nicht mehr vernommen. Ihre zarte, besänftigende Stimme, die ihm immer wieder Ruhe und Kraft gegeben hatte. Und ausgerechnet jetzt, wo ihn vor Sehnsucht nach der Stimme Miriams beinahe der Irrsinn befiel, traf er auf eine Frau wie Sally.
Das Stapfen schwerer Stiefel holte Jonathan aus seinen Gedanken. Ein gewichtiger, untersetzter Mann schnaufte durch die Tür, musterte den neuen Gast, nickte und plumpste auf einen Stuhl gegenüber Jonathans.
„Wohl gerade erst eingetroffen, wie? Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, Du Fresne, Jim Du Fresne, Händler aus Vancouver, sitze wegen dem verdammten Sturm hier fest. Erbärmliches Nest das hier, wirklich. Bin froh, wenn ich endlich wegkomme. Woher kommen Sie denn bei dem Mistwetter, Mister? Sicher Fallensteller, nicht wahr?“, ergriff der untersetzte Herr das Wort, sowie er zu Atem gekommen war. Geringschätzig grinsend, doch mit unverhohlener Neugier, musterte er dabei den Neuankömmling von unten nach oben. Erwartungsvoll blickte er Jonathan zu guter Letzt ins Gesicht.
Mit steinerner Miene erwiderte Jonathan den Blick solange, bis das feiste Grinsen aus dem Gesicht des anderen verschwand. Dann sagte er tonlos: „McLeary, Jonathan McLeary, Jäger, komme aus Dawson.“
„Potzblitz, aus Dawson“, entfuhr es dem Dicken. Erneut hob er an etwas zu sagen, doch war seine anfängliche Selbstsicherheit dahin. Irgendetwas an dem Jäger zwang ihn seine Worte ungesagt zu verschlucken. Jonathan nickte grimmig, ohne seine kalten Augen vom Gesicht des Tischnachbarn abzuwenden. Dem traten nun dicke Schweißperlen auf die Stirn und sichtlich nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschend, versuchte er dem unheimlichen Blick des Jägers auszuweichen. Neuerliche Schritte befreiten den Dicken aus der unangenehmen Situation und erleichtert schnaufte er durch, als sich der bohrende Blick des Jägers endlich von ihm abwendete.
„Ah, Mister Maloy“, ertönte die Stimme Sallys vom Foyer. „Sie verfügen offensichtlich über einen sechsten Sinn, der Ihnen verrät wann das Essen fertig ist, wie?“
„In der Tat, Miss Dickins, auf meinen Magen kann ich mich verlassen“, antwortete eine an Whisky und Tabakluft gewohnt klingende Stimme mit südlichem Akzent. „Hab' schließlich noch 'ne lange Nacht vor mir, da will ich bei Kräften bleiben. Sieh an, einen neuen Gast gibt es in unserer illustren Runde ebenfalls zu begrüßen.“ Der Sprecher hatte eben die Tür erreicht und zeigte sich Jonathan als elegant gekleideter, schlaksiger Mann mittleren Alters. Die schwarzen Haare trug er kurz geschnitten und ein gepflegter Schnauzbart zierte die dünne Oberlippe. Etwas Lauerndes ging von ihm aus, eine irgendwie verborgen gehaltene Gereiztheit, die des Jägers Wachsamkeit erregte und die er nicht einzuordnen
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