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Cook, Robin

Titel: Cook, Robin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schock
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sie überrascht.
    Sie erinnerte sich zwar noch vage daran, dass Dr. Donaldson ihnen erzählt hatte, der riesige alte Komplex gleiche, von dem kleinen, von der Wingate Clinic genutzten Teil abgesehen, weitgehend einem Museum, doch was sich da vor ihren Augen auftat, hatte sie nicht erwartet. Es war, als ob sämtliche Ärzte, Pfleger und Patienten irgendwann in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Stockwerk verlassen und alles so zurückgelassen hatten, wie es war. Die Tische in dem weitläufigen dunklen Flur waren uralt, die Rollbahren aus Holz, und quer verstreut standen jede Menge altertümliche Rollstühle herum. Von den viktorianischen Leuchtern baumelten girlandenartig dichte Spinnengewebe herab, an den Wänden hingen gerahmte Drucke von Currier & Ives, die allesamt verrutscht waren. Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, von der leicht gewölbten Decke war an mehreren Stellen der Putz heruntergefallen.
    Während Deborah die Entfernung vom Treppenhausausgang bis zum Schacht schätzte, hielt sie sich instinktiv die Hand vor den Mund und atmete so flach wie möglich. Sie wusste zwar, dass die Tuberkulosebakterien und all die anderen Krankheitserreger, die den Flur dereinst bevölkert hatten, längst verschwunden waren, doch sie fühlte sich trotzdem unbehaglich und verletzlich.
    Sie schritt in etwa die Entfernung bis zum Speisenaufzug ab und öffnete die nächste Tür. Wie erwartet führte sie in eine ehemalige Speisekammer. Es war ein fensterloser Raum mit Schränken voller Besteck und Geschirr. Es gab sogar ein paar alte Backöfen, die mit ihren offen stehenden Türen im Halbdunkel aussahen wie riesige tote Tiere mit weit geöffneten Mäulern.
    Die Tür zum Speisenaufzug war wie erwartet an der hinteren Seite. Wie bei einem Frachtaufzug war sie so konstruiert, dass sie sich in vertikaler Richtung öffnete, doch als Deborah an dem ausgefransten Seil für den Öffnungsmechanismus zog, tat sich nichts. Offenbar war die Tür mit einer Sperre gesichert, die verhinderte, dass man die Tür öffnen konnte, wenn der Aufzug noch nicht da war.
    Deborah klopfte sich den Staub von den Händen, ging zurück zum Treppenhaus und stieg nacheinander hinauf in den dritten und vierten, obersten Stock. Sie vergewisserte sich, dass es in beiden Stockwerken ähnlich aussah wie im zweiten Stock, und stieg dann hinab ins Erdgeschoss.
    Als sie aus dem Treppenhaus auf den Flur trat, wusste sie sofort, dass die Eizellen auf keinen Fall von dort nach oben befördert wurden. Das Erdgeschoss war noch aufwändiger renoviert worden als der erste Stock und beherbergte den gesamten klinischen Bereich des Wingate-Unternehmens. Um diese Zeit am späten Vormittag herrschte dort reger Betrieb. Ständig huschten Ärzte, Krankenschwestern und Patienten hin und her, und Deborah musste zur Seite treten, um einem Pfleger Platz zu machen, der eine Rollbahre mit einer Patientin vor sich herschob.
    Deborah wich dem beständigen Strom des Klinikpersonals aus und schritt die Entfernung bis zu der Stelle ab, an der sie hinter der Flurwand den Aufzugschacht vermutete. Sie verließ den Flur und gelangte in den Bereich mit den Warte- und Behandlungszimmern für die Patienten. Genau da, wo eigentlich die Tür des Aufzugs hätte sein sollen, stand ein niedriger Wäscheschrank. Ohne jeden Zweifel gab es im Erdgeschoss keine Aufzugtür.
    Damit stand nach dem Ausschlussprinzip fest, dass der Aufzug nur im Keller mit den Eizellen beladen werden konnte. Deborah ging zurück zum Treppenhaus und stieg hinab, doch anders als bei den oberen Stockwerken lagen diesmal nicht zwei, sondern drei Absätze zwischen den einzelnen Etagen, weshalb sie vermutete, dass das Kellergeschoss über besonders hohe Decken verfügte. Aber sie hatte sich geirrt. Zwischen Erdgeschoss und Keller gab es nämlich noch eine Art Zwischengeschoss, das einem Labyrinth aus Rohren und Leitungen glich.
    Der Keller sah aus wie ein riesiges Verlies. Von der bogenförmig gewölbten Decke hingen ein paar vereinzelte nackte Glühbirnen herab, die Wände waren aus unverputztem Backstein, und der Boden war mit großen Granitplatten ausgelegt. Das mulmige Gefühl, das Deborah bereits in den oberen Stockwerken beschlichen hatte, schwoll in dem düsteren Kellerverlies zu regelrechter Furcht an. Hier unten wimmelte es ebenso von Überresten aus der Zeit der Nervenheilanstalt und der Tuberkuloseklinik, doch in diesem feuchten, muffigen und düsteren Gewölbe wirkten sie noch unheimlicher.

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