Cook, Robin
selber gesagt, dass du nicht damit gerechnet hast, dass hier Hochbetrieb herrscht. Wenn wir da jetzt reingehen, laufen wir garantiert irgendjemandem in die Arme, und was sollen wir dann wohl sagen?«
»Jetzt sei gefälligst ruhig!«, wies Deborah sie zurecht. »Du bist doch diejenige, die unbedingt noch einmal in diese Klinik wollte. Das war nur ein Van, der ohne anzuhalten an uns vorbeigefahren ist. Er hat nicht einmal abgebremst. Glaub mir – es ist alles okay.«
»Nichts ist okay«, widersprach Joanna. »Wenn wir hineingehen, können sie uns, zusätzlich zu all den anderen Vergehen, auch noch wegen Hausfriedensbruch belangen. Ich finde, wir sollten abhauen, und zwar sofort.«
»Ich verlasse das Gelände nicht, bevor ich irgendetwas Konkretes in den Händen habe«, erwiderte Deborah. »Wenn du willst, kannst du ja im Auto bleiben. Ich gehe auf jeden Fall rein. Vorher ziehe ich mir allerdings meine Sneakers an.«
Sie öffnete die Tür und trat hinaus in die klare Nacht. Dann ging sie zum Kofferraum, nahm ihre Laufschuhe heraus und setzte sich noch einmal hinters Steuer.
»Ich habe im ersten Stock gerade jemanden an einem der Fenster gesehen«, berichtete Joanna nervös.
»Ja, und?«, entgegnete Deborah, während sie sich ihre Sneakers anzog und die Schnürbänder zuband. »Mit Minikleid und diesen Schuhen sehe ich zum Totlachen aus, aber was soll’s?«
»Ich kann es wirklich nicht fassen, wieso du gar keine Angst hast«, stellte Joanna fest.
»Jetzt reicht’s!«, fuhr Deborah sie an. »Kommst du nun mit oder nicht?«
»Was bleibt mir anderes übrig?«, erwiderte Joanna genervt.
»Was sollen wir deiner Meinung nach mitnehmen?«
»So wenig wie möglich«, erwiderte Joanna. »Damit wir notfalls ungehindert die Flucht ergreifen können. Vielleicht sollten wir auch noch das Auto wenden. Dann können wir im Ernstfall schneller durchstarten.«
»Keine schlechte Idee«, stimmte Deborah ihr zu.
Sie ließ den Motor noch einmal an, wendete und bog andersherum in die Parklücke. »Bist du jetzt glücklich?«
»Das wäre stark übertrieben.«
»Am besten nehmen wir nur die Taschenlampen, unsere Zugangskarten und die Wegwerfkamera mit«, schlug Deborah vor.
»Okay.«
Deborah griff hinter sich, nahm die Drogerietasche vom Rücksitz und reichte Joanna eine der Taschenlampen. Die zweite sowie die Wegwerfkamera behielt sie selbst. »Bist du bereit?«
»Ich denke, ja«, erwiderte Joanna wenig begeistert.
»Warte mal!«, rief Deborah. »Mir ist gerade etwas eingefallen.«
Joanna verdrehte die Augen. Falls Deborah selbst in dieser misslichen Lage von ihr erwartete, dass sie ihr Ratespielchen mitspielte, war sie falsch gewickelt.
»Willst du gar nicht wissen, was mir eingefallen ist?«
»Nur, wenn du mir sagen willst, dass wir besser doch auf der Stelle abhauen.«
Diesmal verdrehte Deborah die Augen. »Ich denke gar nicht daran! Erinnerst du dich noch, als wir zur Eizellenspende hier waren? Damals haben wir unsere Mäntel in einer Garderobe abgelegt. In dem Raum hingen auch Arztkittel. Ich glaube, wir sollten uns jede einen ausleihen. Dann sehen wir eher so aus, als gehörten wir hierher, erst recht ich mit meinem Minikleid.«
Schließlich stiegen sie aus und eilten auf den Eingang zu. Zu ihrer Überraschung brauchte man um diese Zeit eine Zugangskarte, um überhaupt ins Gebäude zu kommen, doch wie schon am Tor funktionierte die Karte einwandfrei. Drinnen war der riesige Rezeptionsbereich dunkel und verlassen. Sie huschten mit geduckten Köpfen in die Garderobe, zogen die Tür hinter sich zu und schalteten das Licht an.
Deborah hatte sich nicht geirrt. In dem Raum hingen jede Menge weiße Arztkittel, allerdings nur wenige in kleinen Größen. Nach ein paar Minuten hatten sie jede einen gefunden, der einigermaßen passte. Ihre Taschenlampen, die Zugangskarten und die Wegwerfkamera stopften sie in die geräumigen Taschen. So gerüstet knipsten sie das Licht wieder aus und huschten zurück in den Rezeptionsbereich.
»Geh du vor«, flüsterte Joanna.
Deborah nickte. Sie umrundeten den unbesetzten Rezeptionstresen und eilten, links vorbei an dem Patientenumkleideraum, in dem sie sich vor ihrem Eingriff vor eineinhalb Jahren ihre Flügelhemdchen angezogen hatten, über den Hauptflur. Deborahs Ziel war das Treppenhaus, und sie erreichten es, ohne irgendjemandem zu begegnen. Die einzigen Geräusche, die sie hörten, waren ihre eigenen Schritte.
Im Treppenhaus angelangt, seufzten sie beide erleichtert auf. Hier
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