Cook, Robin
Gepäckstück erspäht hatte. Sie zog die aus allen Nähten platzende Tasche vom Band und warf sie auf den Haufen mit den übrigen Taschen und Koffern, die Joanna und ihr gehörten. Dann packten sie zwei Karren voll und stellten sich in der Schlange vor der Zollabfertigung an.
»Da sind wir also wieder in Beantown«, stellte Deborah fest und fuhr sich mit der Hand durch ihr volles, langes Haar. »Was für ein angenehmer Flug! Er kam mir unheimlich kurz vor.«
»Mir nicht«, entgegnete Joanna. »Ich wünschte, ich hätte wenigstens halb so viel geschlafen wie du.«
»Fliegen macht mich immer total müde«, erklärte Deborah.
»Das habe ich gemerkt!«, entgegnete Joanna neidisch.
Eine Stunde später betraten die beiden Freundinnen ihr Zweizimmerapartment in Beacon Hill, das sie für die Dauer ihres Italienaufenthalts vermietet hatten.
»Sollen wir eine Münze werfen, wer welches Zimmer bekommt?«, schlug Joanna vor.
»Auf keinen Fall«, erwiderte Deborah. »Ich habe gesagt, dass ich das kleinere Zimmer nehme, und dazu stehe ich.«
»Bist du sicher?«
»Absolut. Mir sind der große begehbare Kleiderschrank und der Blick wichtiger als ein großer Raum.«
»Mir geht es eher um den Zugang zum Bad«, überlegte Joanna laut. Das Bad hatte zwei Zugänge: einen vom Flur und einen von dem größeren Zimmer. In Joannas Augen war das größere Zimmer vor allem deshalb das bessere.
»Das kleine ist vollkommen okay für mich, glaub mir.«
»Okay«, entgegnete Joanna. »Umso besser für mich.«
Eine Stunde später hatten sie die Möbel nach ihrem Geschmack umgestellt, einen Teil ihres Gepäcks ausgepackt und sogar schon ihre Betten bezogen. Plötzlich stellte Deborah fest, dass sie allmählich mit ihren Kräften am Ende war. Immerhin war es in Italien bereits später Abend. Erschöpft ließen sie sich auf das Sofa im Wohnzimmer plumpsen. Die hellen Strahlen der Nachmittagssonne, die durch die vorderen Fenster in die Wohnung fielen, vermittelten ihnen das trügerische Gefühl, dass sie eigentlich gar nicht müde sein und unter Jetlag leiden konnten.
»Hast du eine Idee, was wir heute Abend essen sollen?«, fragte Deborah mit monotoner Stimme.
»Bevor ich ans Essen denken kann, will ich erst noch etwas anderes erledigen«, stellte Joanna klar. Sie stand auf und streckte sich.
»Willst du ein Nickerchen halten?«, fragte Deborah.
»Nein«, erwiderte Joanna. »Ich möchte einen Anruf machen.« Sie ging durch den Raum und steuerte auf das Telefon zu, das auf dem Boden stand. Ein Telefontischchen besaßen sie nicht, und den Schreibtisch hatten sie auf die andere Zimmerseite gerückt, um den Computerbildschirm vor dem einfallenden Sonnenlicht zu schützen.
»Sag nicht, dass du als Erstes Carlton anrufen willst! Dann wird mir übel.«
Joanna sah ihre Mitbewohnerin an, als wäre sie nicht ganz bei Trost. »Wie kommst du darauf, dass ich Carlton anrufen will?« Sie hob das Telefon auf und brachte es mit zum Sofa, was mit der acht Meter langen Schnur kein Problem war.
»Ich mache mir Sorgen, dass du rückfällig wirst«, erklärte Deborah. »Mir ist nämlich nicht entgangen, wie viele Briefe dein langweiliger Arzt in der Ausbildung dir in letzter Zeit geschrieben hat, und da wir nun zurück in Boston sind und somit nur einen Katzensprung von seinem Krankenhaus entfernt, sehe ich dich in großer Gefahr.«
Joanna lachte. »Glaubst du eigentlich, ich habe kein bisschen Rückgrat?«
»Ich glaube, dass du nach fünfundzwanzig Jahren Indoktrination durch deine Mutter für bestimmte Aspekte des Lebens nicht ausreichend gewappnet bist.«
Joanna grinste. »Du kannst dich beruhigen. Ich habe seit unserer Rückkehr noch keine Sekunde an Carlton gedacht. Ich will in der Wingate Clinic anrufen. Hast du die Nummer?«
»Wir sind doch gerade erst gelandet! Hat das nicht noch ein bisschen Zeit?«
»Warum?«, entgegnete Joanna. »Ich mache mir seit Monaten Gedanken, was aus meinen Eizellen geworden ist, und offenbar geht es dir doch genauso.«
»Wirf mir mal meinen Taschenkalender rüber«, bat Deborah, ohne sich von der Stelle zu bewegen. »Er liegt auf dem Schreibtisch.«
Joanna holte ihn und ließ sich erneut auf dem Sofa nieder. Deborah schlug die Nummer nach, deutete mit dem Finger auf die Ziffern und hielt Joanna den Kalender hin. Joanna drückte den Lautsprecherknopf, hörte das Freizeichen und wählte.
Am anderen Ende der Leitung nahm sofort jemand ab. Joanna nannte ihren Namen und erklärte, dass sie eine ehemalige
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