Cook, Robin
Gemüsehändler, die so genannten verduricre, vom Wasser aus frische Früchte und Gemüse verkauften. Eine halbe Stunde später waren sie wieder in ihrem Apartment und begaben sich an ihre jeweiligen Arbeitsplätze.
Dort schrieben sie eisern bis ein Uhr mittags an ihren Arbeiten. Sie schalteten ihre Laptops nie früher aus. Wenn der Abwasch erledigt war, zogen sie sich um und gingen in ein Restaurant, das sie vorher ausgewählt hatten. Meistens gönnten sie sich schon zum Mittagessen ein oder zwei Gläser Weißwein aus Friaul, und danach vergaßen sie die Doktorandenpflichten für den Rest des Tages und verwandelten sich in Touristinnen. Also erkundeten sie, mit einem Stapel Stadtführern bewaffnet, sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt. An drei Nachmittagen pro Woche besuchten sie einen Italienischkurs oder hörten Vorlesungen über venezianische Kunst.
Allerdings war es keinesfalls so, dass ihr Italienaufenthalt etwa nur aus Arbeit und Touristenprogramm bestanden hätte. Sie gingen sehr gern mit jungen italienischen Männern aus, am liebsten mit Männern, die auf irgendeine Weise mit der Universität zu tun hatten. Deborahs erster Liebhaber war ein junger Mann, der in Geschichte promovierte und während der Saison als Gondoliere arbeitete. Joanna freundete sich mit einem Lehrbeauftragten der gleichen Fakultät an. Doch die beiden Freundinnen achteten darauf, sich bloß nicht zu verlieben. Deborahs Devise lautete: bei jeder Liaison eine männliche Einstellung bewahren, sich also seinen Spaß gönnen, aber niemals sein Herz verlieren.
Joanna seufzte, als sie an all die wunderschönen Dinge dachte, die sie gesehen, und die Erfahrungen, die sie gemacht hatten. Die eineinhalb Jahre in Venedig waren in jeder Beziehung ein voller Erfolg gewesen, auch beruflich. In ihren im Gepäckfach über ihnen verstauten Bordcases lagen zwei fertige Doktorarbeiten. Dank der Möglichkeit, einzelne Kapitel zur Überprüfung per E-Mail vorab hin- und herzuschicken, waren beide Arbeiten bereits akzeptiert. Das Einzige, was sie jetzt noch vor sich hatten, waren ihre Rigorosa, und die würden sie mit links bestehen, da waren sie sich beide sicher. In einer Woche waren sie bereits zu ersten Vorstellungsgesprächen eingeladen: Joanna in der Harvard Business School und Deborah bei Genzyme.
Sogar Carlton hatte sie ein paar Mal in Venedig besucht. Das erste Mal war er völlig unerwartet aufgetaucht und hatte Joanna total aus der Fassung gebracht. Vor ihrer Abreise nach Europa hatte sie etliche Male versucht, ihn zu erreichen, doch er war ihr zielstrebig aus dem Weg gegangen und hatte sich standhaft geweigert, auf ihre Nachrichten auf dem Anrufbeantworter zu reagieren. Als sie ihre Wohnung in Venedig gefunden hatten, hatte Joanna ihm einen Brief geschrieben und ihm ihre Adresse mitgeteilt, damit er Kontakt zu ihr aufnehmen konnte, falls er dazu Lust verspüren sollte. Doch anstatt ihr zu schreiben, war er an einem verregneten, nebeligen Wintertag plötzlich aufgetaucht.
Hätte er nicht einen so weiten Weg auf sich genommen, hätte Joanna sich geweigert, ihn während dieses Besuchs zu empfangen, doch ihr schlechtes Gewissen stimmte sie schließlich gnädig. Bevor sie ihn anrief, ließ sie ihn allerdings erst einmal ein paar Tage in seinem Zimmer im Gritti Palace schmoren. Auf Carltons Wunsch trafen sie sich zum Mittagessen in Harry’s Bar. Zuerst kamen sie nur äußerst schleppend ins Gespräch, doch dann rauften sie sich zusammen, und schließlich schafften sie es sogar, sich in den folgenden Wochen und Monaten regelmäßig zu schreiben und ihre gescheiterte Beziehung aufzuarbeiten. Der Briefwechsel führte dazu, dass Carlton noch zwei weitere Male nach La Serenissima kam, wie die alten Venezianer ihre bezaubernde Stadt nannten. Bei jedem seiner Besuche hatten sie sich besser verstanden, auch wenn zumindest bei Joanna stets ein etwas ungutes Gefühl zurückgeblieben war. Ihr Auslandsaufenthalt ließ sie die Welt mit anderen Augen sehen; ihrer Meinung nach setzte Carlton sich durch seine unbedingte Hingabe an seinen Beruf immer engere Grenzen und machte sich das Leben unnötig schwer. Immerhin hatten sie bei ihrem letzten Treffen eine Art Waffenstillstand geschlossen; sie hatten sich gegenseitig eingestanden, dass sie sich immer noch mochten, ihren derzeitigen »unverlobten« Status jedoch für angemessen hielten, damit jeder ungezwungen seinen eigenen Interessen nachgehen konnte.
Eine weitere Welle von Rucken und Stößen riss Joanna aus
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