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Cool Hunter

Cool Hunter

Titel: Cool Hunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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Schritte von der Stelle entfernt aufgenommen worden, wo wir das Handy gefunden hatten.

    »Sieht aus, als hätte jemand das Vorhängeschloss abgemacht. « Jen beugte sich vor und zeichnete in dem weißen Lichtstreifen eine geschlängelte dunkle Linie nach – es war die Kette, die zwischen den Brettern baumelte und an deren Ende das geöffnete Vorhängeschloss hing. Der Spalt schien so breit zu sein, dass ein Mensch sich hindurchschieben konnte.
    »Dann muss Mandy einen Schlüssel gehabt haben«, sagte ich.
    Jen deutete auf den Bildschirm. »Aber als sie kam, war schon jemand anderes dort.«
    Ich versuchte blinzelnd, den verschwommenen Fleck in der dunkelsten Ecke des Fotos zu identifizieren. Jetzt, wo ich ihn zu dieser Größe aufgeblasen sah, war ich mir nicht mehr sicher, ob es sich um ein Gesicht handelte. Wenn überhaupt, sah es aus wie die verpixelte Visage eines Mafia-Informanten.
    »Was meinst du, Lexa? Könnte das ein Gesicht sein?«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Ja, vielleicht.«
    »Kannst du nicht irgendwas machen, damit wir es etwas klarer sehen?«, fragte Jen.
    Lexa verschränkte die Arme vor der Brust. »Klarer sehen? Definiere.«
    »Na ja, dass es mehr wie ein Gesicht aussieht. Wie in den Krimis, wo FBI-Agenten Bilder am Computer bearbeiten.«
    Lexa seufzte. »Lasst mich mal eins klarstellen, Leute. Was man in diesen Filmen sieht, ist kompletter Nonsens. Man kann ein verschwommenes Digitalfoto nicht klarer machen, als es ist. Es besteht nun mal aus einer bestimmten Anzahl von Pixeln und mehr Information ist da nicht rauszuholen. Außerdem arbeiten Gehirne bei der Gesichtserkennung viel zuverlässiger als jeder Computer.«

    »Ja, aber könntest du unseren Gehirnen nicht ein bisschen auf die Sprünge helfen?«, fragte ich.
    »Hört zu, ich hab Meereswellen, aufeinanderprallende Autos und wirbelnde Asteroiden im Computer nachgebaut. Ich hab entzündete Ekzeme von den Händen irgendwelcher Filmstars wegretuschiert, ich hab es regnen und schneien lassen und sogar nachträglich dafür gesorgt, dass Rauch aus dem Mund einer Schauspielerin kam, die sich weigerte, eine angezündete Zigarette zwischen die Lippen zu stecken. Aber soll ich euch mal sagen, was am Allerschwierigsten zu animieren ist?«
    »Menschliche Gesichter«, riet Jen mutig.
    »So ist es.«
    »Weil die Mimik durch Hunderte winzig kleiner Muskeln erzeugt wird?«
    Lexa schüttelte den Kopf. »Menschliche Gesichter sind gar nicht mal besonders ausdrucksstark. Affen haben mehr Gesichtsmuskeln, Hunde größere Augen und Katzen decken mit minimalen Bewegungen der Schnurrhaare ein breites emotionales Spektrum ab. Bei uns bewegen sich ja nicht mal die Ohren. Nein, das was es so schwer macht, sind die Zuschauer. Wir verbringen unser gesamtes Leben damit, zu lernen, den Gesichtsausdruck anderer Menschen zu deuten. Wir erkennen noch aus hundert Metern Entfernung durch eine Nebelbank, dass jemand wütend ist. Unsere Gehirne sind Maschinen, die Kaffee in Gesichtsanalysen umwandeln. Trinkt einen Schluck und probiert es aus.«
    Ich nahm einen lauwarmen Schluck aus meinem Pappbecher und betrachtete noch einmal das Foto. Es war ein Gesicht, entschied ich, und es begann vage vertraut auszusehen.
    »Gerade fällt mir ein, dass es vielleicht doch etwas gibt,
das helfen könnte.« Statt nach der Maus zu greifen, wie ich es erwartet hätte, stand Lexa auf, ging zur Küchenzeile und nahm eine lange, schmale Schachtel aus einer der Schubladen. Erst als sie etwas herauszog und abriss, erkannte ich, dass es ein Stück Pergamentpapier war, mit dem man normalerweise Sandwiches einpackt. Sie kam zurück und hielt das halbdurchsichtige Papier an den Bildschirm. »Erzählt niemandem, dass ich euch das gesagt habe, aber manchmal sieht man verschwommen klarer.«
    Jen und ich hielten die Luft an. Durch das halbtransparente Papier sahen wir tatsächlich ein Gesicht.
    Und es gehörte ganz eindeutig dem Mann, der in der Dunkelheit hinter uns hergerannt war. Die einzelnen Farbflecken bildeten auf einmal ein zusammenhängendes Ganzes, das als seine Glatze, seine vorspringende Stirn und seine kindlichen Lippen zu erkennen war. Lexa hatte recht: Durch das Pergamentpapier hindurch konnten wir den verschwommenen Gesichtsausdruck mühelos deuten. Der Mann wirkte wild entschlossen und sehr abgebrüht.
    Und er hatte sich auf Mandy gestürzt, so wie er sich auf uns gestürzt hatte.
    Es war, als wäre er durch den Bildschirm ins Zimmer getreten. Einen Moment lang saßen wir alle wie

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