Coole Geschichten für clevere Leser
und schlimmstenfalls hätte er Luddock etwas hart rangenommen. Jedenfalls bin ich nie auf den Gedanken gekommen, er würde den Dienstrevolver mitnehmen.
Na, Du weißt ja, was passiert, wenn zwei Heißsporne aneinandergeraten. Joe spürte Luddock in einer heruntergekommenen Pension in der Stadt auf. Luddock stellte sich wegen der Briefe natürlich dumm, und Joe ging hart ran. Luddock hat sich wahrscheinlich gewehrt, denn plötzlich mischte die Kanone mit. Dies ist der Aspekt, den wir hoffentlich etwas herunterspielen können, denn in seiner dreißigjährigen Dienstzeit hat sich Joe Quinn nicht ein einziges mal die Waffe abnehmen lassen. Diesmal aber passierte es. Luddock scheint bei der Zwangsarbeit zu Muskeln gekommen zu sein, während Joe wohl unter Marthas guter Küche gelitten hat. Ich weiß nicht, ob Luddock die Waffe benutzen wollte, aber Du kannst Dir vorstellen, daß es schließlich keine andere Möglichkeit mehr gab. Er betätigte den Abzug, als sich Joe auf ihn stürzte, und traf Joe in die Brust. Nach dem Bericht des Gerichtsarztes war er sofort tot.
Natürlich sind die Jungs hier ein bißchen nervös wegen der Sache und wollen Blut sehen. Ich glaube nicht, daß wir Schwierigkeiten haben, Luddock wieder auf Eis zu legen, doch genau genommen war es Notwehr, selbst wenn er die Briefe geschrieben hat, was er noch immer leugnet. Jedenfalls bekommst Du in einigen Tagen einen vollständigen Bericht.
Sam
Liebe Mutter,
vielen Dank für die Pflaumen. So wie ich mich seit Joes Tod gefühlt habe, war mir eigentlich nicht nach Essen, aber die Früchte waren so köstlich, daß ich nicht anders konnte.
Na ja, langsam beruhigt sich mein Leben hier wieder. Der Altwarenhändler war heute früh hier. Eine Schande, was er für die Möbel in Joes Zimmer bietet! Aber ich weiß, daß Du Dich im eigenen Bett wohler fühlst, und so muß es denn sein. Hast Du schon die Umzugsfirma angerufen?
Sam Crawford schrieb mir gestern und sagte, Willy Luddock ist wieder ins Gefängnis geschickt worden, allerdings nur für kurze Zeit. Kannst Du Dir etwas so Unfaires vorstellen? Jedenfalls machen Sie es an Joe wieder gut, indem Sie ihm nachträglich eine Medaille verleihen. Die hat er ja nun wirklich verdient. Schließlich hat er dreißig Jahre im Morddetzernat gearbeitet.
Ich kann es kaum noch erwarten, daß Du zu mir ziehst.
In Liebe,
Martha
Der Handschuhtäter
Eins läßt sich über die Tyrannei sagen: sie einigt ihre Opfer. In den Büros der Stackpole Handschuhmanufaktur gab es selten Zwietracht; die Angestellten waren sich in ihrem Widerwillen gegenüber Ralph Stackpole einig, dem Präsidenten und Leitenden Direktor der Firma. Stackpole seinerseits wußte das, und es war ihm völlig egal. In seinem fünfzigjährigen Leben und in seinen dreißig Jahren in der Handschuhbranche hatte er sich eine goldene Regel zu eigen gemacht: Tu anderen an, was sie dir antun, aber ehe sie dazu kommen.
Der Tag, an dem Stackpole in seiner Firma einen Dieb entdeckte, begann durchaus erfreulich. Er hatte die sechs Querstraßen von seiner Wohnung zur Firma zu Fuß zurückgelegt, und der Januarfrost hatte seine runzligen Wangen mit einem beinahe freundlichen Schimmer überzogen. Beim Frühstück hatte er seine Frau nett behandelt und seine Sekretärin, die ihm die Post brachte, mit Höflichkeit. Blackburn, der Bürochef, dessen nervöse Art ihm eine stetige Quelle des Ärgers war, wurde sogar mit einem kleinen Lächeln begrüßt, als er das Heiligtum des Präsidenten betrat. Dieses Lächeln sollte aber nicht von Dauer sein.
»Ich verstehe das nicht, Mr. Stackpole«, meldete Blackburn. »Die bestellten 205-Modelle. Die Fabrik hat ein Dutzend Muster geschickt, wir haben aber nur noch elf …«
»Na, was soll ich dazu sagen?«
»Aber es geht nicht nur um die 205er, Mr. Stackpole. In letzter Zeit hat es öfter unerklärliche Bestandsdifferenzen gegeben. Es ist fast –« er zögerte einen Sekundenbruchteil lang und zuckte nervös mit den Lidern –, »als hätte da jemand lange Finger gemacht.«
Stackpole schnappte nach Luft. »Soll das heißen, ich werde bestohlen? In meiner Firma?«
»Nun, so wie die Handschuhe hier herumliegen, könnte jeder eine Schachtel im Mantel oder in der Aktentasche verschwinden lassen …«
Der Präsident stand auf, sein Zorn war eines Jupiters würdig. »Niemand nimmt mir etwas, hören Sie, Blackburn? Niemand! Finden Sie den Unhold, und zwar heute noch!«
»Ich?« fragte Blackburn zitternd. »Aber wie denn? Ich
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