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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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holte die Arbeit nach, die er im Laufe des Tages versäumt hatte. Da es für das Abendessen zu Haus zu spät geworden war, aß er allein in seinem Klub. Als er schließlich in die Wohnung zurückkehrte, war es bereits nach elf Uhr, und seine Frau ging gerade zu Bett.
    »Du hast aber lange gearbeitet«, sagte sie und streifte sich das Nachthemd über. »Wie ist dein Experiment gelaufen?«
    »Bestens«, antwortete Stackpole lachend. »Und weißt du, wer der Dieb war? Dieser Nichtsnutz Fred Cotter!«
    »Cotter? Dein Designer?«
    »Genau; du hast ihn letzten Monat bei der Weihnachtsfeier kennengelernt. Der ewige Grinser. Aber heute abend habe ich sein Lächeln ausgelöscht. Ich habe ihm gezeigt, daß mir niemand etwas wegnimmt!«
    Zufrieden ächzend kroch er ins Bett und schaltete die Nachttischlampe aus. Als er sich herumrollte, sah er auf dem nackten Rücken seiner Frau den schimmernden Handabdruck.

Verlorene Hoffnung
    Clara begrüßte Dr. Rush an der Tür und sah in seinen Augen den Ausdruck, dem sie neuerdings überall begegnete – ein entrücktes Desinteresse an der Umwelt. Der Besuch zeigte aber, daß Dr. Rush weitermachte, daß er auf seinen gewohnten Pfaden zwischen den Kranken der Gemeinde wandelte, daß er wie immer Pillen verschrieb und die Brust abhorchte und sich barsch für oder gegen Leibesertüchtigung oder Bettruhe oder eine Diät aussprach. Er gehörte zu jener Sorte Mensch, die unter allen Umständen den gewohnten Trott beibehielt, im Gegensatz zu jenen, die alles mit einem Achselzucken abtaten, oder jenen, die sich am liebsten verkrochen hätten – das waren die drei Gruppen, die sich in der Bevölkerung herausgeschält hatten, seitdem der bevorstehende Weltuntergang bekannt geworden war.
    »Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte Clara. »Vielen Dank, Harold. Sie haben sicher viel zu tun …«
    Rush brummte vor sich hin. »Viel zu tun? Na ja, das ist wohl richtig. Ein paar Leute wollen vor dem großen Ende tatsächlich noch geheilt und beruhigt werden – fragen Sie mich nicht, warum.«
    Seine Worte bedrückten sie sichtlich, und er fügte hastig hinzu: »Achten Sie nicht auf mein Geschwätz, Clara. Sie wissen ja, wie ich so rede. Die Hoffnung stirbt nie, heißt es …«
    »Hoffnung?« fragte Clara betäubt und versuchte sich an die Bedeutung des Worts zu erinnern.
    Sie gingen zusammen ins Schlafzimmer. Clara hob eine der Jalousien an, um ein wenig Licht in den dunklen Raum zu lassen. Die Dunkelheit, das wußte sie, diente nicht dem Mann im Bett, sondern ihr. Es war einfach zuviel, in das verwandelte Gesicht des sanftmütigen Mannes zu schauen, den sie vor achtunddreißig Jahren geheiratet hatte, seine erstarrten Gesichtszüge sehen zu müssen, in seine sanften braunen Augen zu blicken und dort nur auf Eiseskälte zu stoßen. Folglich hielt sie das Zimmer dunkel und ersparte sich den Anblick Dr. Ernest Kissingers, ihres geliebten Mannes.
    »Wie lange geht es ihm schon so?« fragte Rush energisch und ergriff das dünne Handgelenk.
    »Seit Mittwoch. Er hatte die ganze Nacht im Labor gearbeitet und nicht einmal Bescheid gegeben, daß er Überstunden machen würde. Wäre wohl auch sinnlos gewesen, so wie das Telefon funktioniert …«
    »Ja«, sagte Rush. »Und weiter?«
    »Gegen sieben Uhr früh kam er nach Hause, da war sein Gesicht schon so versteint wie jetzt. Er taumelte, war aber wenigstens noch auf den Füßen. Ich redete ihn an, während er sich auszog und ins Bett legte, aber er antwortete nicht. Ich schaute dann erst um vierzehn Uhr wieder nach ihm – vielleicht wollte er ja etwas essen. Dabei wurde mir klar, wie schlimm es um ihn steht.«
    Rush richtete einen dünnen Lichtstrahl auf die Augen des Mannes. »Hat er überhaupt Nahrung zu sich genommen?«
    »Ich habe ihm etwas Suppe eingetrichtert, aber das ist alles.«
    Rush seufzte und wandte sich zu ihr um. »Sie wissen sicher, was er hat, Clara. So überaus rätselhaft kann Ihnen das nicht vorkommen.«
    »Ja, aber …«
    »Seitdem die große Nachricht heraus ist, haben wir schon tausend Fälle von Katatonie gehabt. Das war zu erwarten. Sobald die Wissenschaftler die große Wahrheit bestätigten, sobald es keinen Zweifel mehr geben konnte, daß das Ende bevorsteht, ergriffen Menschen die Flucht und versteckten sich in sich selbst, suchten Schutz im eigenen Körper wie in einem Luftschutzbunker, der sie vor der Wahrheit schützen könnte.«
    Clara begann zu weinen. Sie hatte in den letzten Stunden bereits viele Tränen vergossen, aber sie

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