Coole Geschichten für clevere Leser
begannen sofort zu fragen. Sie wollten wissen, wie Miles die Verteidigung zu führen gedachte. Als sie vom Film zu reden begannen, stieß Sam ein leises Knurren aus und rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her, aber Miles ließ sie reden.
»Wie ist das, Mr. Crawford?« fragte einer der Reporter. »Haben Sie im Film nicht oft einen Strafverteidiger gespielt?«
»Das stimmt schon, hat aber mit dieser Sache nichts zu tun.«
»Wie lange sind Sie schon weg vom Film, Mr. Crawford – ist das nicht bald fünfundzwanzig Jahre her?«
»Ja, ungefähr.«
»Miles!« Sam Brody stand auf und schüttelte warnend den Kopf. »Laß die Leute jetzt gehen, Miles!«
»Mr. Crawford, glauben Sie, Ihre Erfahrung vom Film kann Ihrem Sohn nützen?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Haben Sie im Film schon mal einen Fall verloren?«
»Das ist eine dumme Frage …«
»Haben Sie die Absicht, wieder zu filmen, Mr. Crawford?«
»Reden Sie keinen Unsinn!« Aufgebracht starrte er den jungen Reporter an, der die letzte Frage gestellt hatte.
»Junger Mann, ich bin Rechtsanwalt – und zwar schon seit zwanzig Jahren.« Der Journalist lächelte freundlich.
»Ist das nicht eine Art Comeback für Sie, Mr. Crawford? Ich meine, wenn Sie Ihre Rolle vor Gericht gut spielen, wäre es dann nicht möglich, daß irgendein Produzent …«
Die Ohrfeige überraschte alle. Das Klatschen hallte in dem plötzlich stillen Zimmer nach, während der Abdruck von Miles Fingern auf der Wange des Reporters verblaßte. Sam reagierte als erster, er trat vor und riß das Gespräch an sich, er drängte die Reporter in den Flur hinaus, beruhigte die aufgebrachte Schar und beförderte sie ohne ein böses Wort und ohne auf ihre Fragen einzugehen aus dem Haus.
Als er in das Wohnzimmer zurückkehrte, saß Miles noch am gleichen Fleck. Er starrte auf die Hand, die den Schlag geführt hatte.
»Komm, trink einen«, sagte Sam. »Und beim nächstenmal solltest du nicht soviel reden. Der Fall wird vor Gericht verhandelt, nicht in den Zeitungen.«
Miles blickte ihn an.
»Sam«, sagte er, »was glaubst du?«
»Ich glaube, daß du müde bist.«
»Ich schwöre, daß das nicht mein Motiv ist. Nicht der Film, nicht der Wunsch, wieder dort anzufangen. Diese Hoffnung habe ich vor langer Zeit begraben. Das weißt du doch, oder?«
»Solange du es nur weißt«, sagte Sam Brody.
Dann machte er sich daran, Drinks einzuschenken.
Miles kannte sich in Gerichtssälen aus. Er hatte schon vor Geschworenenbänken und Richtern gestanden und die Lage seiner Klienten dargelegt. Doch noch nie war es um etwas so Wichtiges und Persönliches gegangen, und als die Verhandlung begann, hätte er Rutherford am liebsten mitgeteilt, daß er es sich anders überlegt habe, daß er nicht befähigt sei, seine Rolle zu spielen, daß er zu den Zuschauern gehörte und nicht vor die Schranken des Gerichts.
Aber er sagte nichts. Die Gesetzesmaschine setzte sich in Bewegung – die Plazierung der Geschworenen, der Auftritt des Richters, eine feierliche Erscheinung in schwarzer Robe. Rutherford marschierte zu dem hohen Tisch und überreichte ein Exemplar der Darlegung, die er vorbereitet hatte. Dann erhob sich Hanley, ein erstaunlich gutmütig wirkender Ankläger Mitte Fünfzig, mit blondem Haar und einem Gelehrtenausdruck, der durch die randlose Brille noch unterstrichen wurde. Mit leiser, leidenschaftsloser Stimme gab er seine Eröffnungserklärung ab, und die einfachen beschreibenden Sätze, mit denen er die Ereignisse des fraglichen Abends darlegte, schienen die Geschworenen zu interessieren, ohne sie zu bewegen. Miles’ Hoffnungen stiegen; der Mann hielt sich sehr zurück; es war eine langweilige Vorführung. Er flüsterte Rutherford seine Meinung zu, und der Anwalt schüttelte abwehrend den Kopf. Daraufhin hörte Miles genauer zu und erkannte, daß Hanley die Tatsachen bewußt untertrieb, daß er sich die dramatischen Details für die Zeugenaussagen aufsparte und große Enthüllungen und stichhaltige Beweise nur in Aussicht stellte. Als sich der Ankläger setzte, waren die Geschworenen noch immer ungerührt, doch bereit, sich überzeugen zu lassen.
Miles und Rutherford waren übereingekommen, ihre Darstellung vor den Geschworenen bis zu dem Augenblick zurückzustellen, da der Staatsanwalt seinen Fall schloß. Nun war es Zeit für die ersten Zeugen.
Hanley war mutig. Er rief den wichtigsten Zeugen von allen auf, den Angeklagten Ted Crawford.
Ted war wie in Trance. Er schien überrascht zu sein, sich im
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