Coolman und ich. Ganz großes Kino (German Edition)
freien Hand nach dem Hörer.
»Hier Kai Baumann, wer da?«, frage ich, während die Flamme schon am unteren Ende des Briefes knabbert.
»Hier ist Lena! Hast du auch einen Brief von Jonny Pony bekommen?«
Vor Schreck lasse ich beinahe den Brief fallen. Lena klingt ziemlich aufgeregt, obwohl ich nicht verstehe, warum Jonny Pony sie ebenfalls verklagen will. Sie hat doch überhaupt nichts getan. Zum Glück wartet Lena gar nicht erst auf eine Antwort von mir, sondern redet gleich weiter.
»Aus den Szenen auf dem Mond von
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hat er einen Kurzfilm zusammengeschnitten. So einen richtigen Kunstfilm, der in zwei Wochen auf der Berlinale in Berlin laufen soll. Das ist eines der wichtigsten Filmfestivals auf der ganzen Welt, und wir sind eingeladen, weil wir doch die Hauptdarsteller sind. Ist das nicht toll?«
»AUA!«, erwidere ich, weil es ganz schön wehtut, wenn man versucht, mit bloßen Händen einen brennenden Brief zu löschen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragt Lena, und es klingt fast ein wenig besorgt.
»Alles supi«, antworte ich und puste auf meine verbrannten Finger.
»Ich habe dich gleich angerufen, weil das ja auch irgendwie dein Verdienst ist. Weil
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doch nie zu einem so wichtigen Festival eingeladen worden wäre. Und jetzt fahren wir zwei zur Berlinale! Stell dir das mal vor! Wir fahren nach Berlin! Wir laufen über den roten Teppich!«
»Man sollte Menschen eben nicht zu früh für das verurteilen, was sie getan haben. Manches, das anfangs schlecht erscheint, entpuppt sich später als gut. Doch das kapiert nur, wer den Überblick behält, so wie ich. Das gehörte nämlich alles zu meinem Plan«, erkläre ich Lena, damit sie ein richtig schlechtes Gewissen bekommt, weil sie mich in den letzten Wochen so schlecht behandelt hat.
»Idiot!«, erwidert Lena unbeeindruckt. »Von wegen Plan, du hast einfach nur Glück gehabt. Aber ich kann dir nicht mehr böse sein. Ich freu mich viel zu sehr!«
Dann legt sie auf, und ich versuche, aus den angekokelten Papierresten den Inhalt des Briefes zu rekonstruieren. Könnte ja sein, dass bei mir doch etwas anderes drinsteht als bei Lena.
Tut es aber nicht.
Aus Freude über die Einladung zur Berlinale scheint Jonny Pony mir verziehen zu haben. In zwei Wochen sollen wir tatsächlich nach Berlin fahren, um auf dem Festival den Kurzfilm vorzustellen, den er aus den übrig gebliebenen Szenen von
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zusammengebastelt hat.
»Wenn du glaubst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her«, sagt meine Mutter immer.
Dieser Brief ist kein Lichtlein.
Dieser Brief ist eine gleißend helle Supernova!
Dieses Festival in Berlin wird der entscheidende Wendepunkt in meinem Leben!
Ab jetzt wird alles gut.
Am Bahnhof spielt eine Blaskapelle, um uns zu verabschieden. Lenas Vater ist der Bürgermeister und er begleitet uns nach Berlin. Er will die Gelegenheit nutzen, um noch mehr Filmproduktionen für unser Städtchen zu begeistern. Er glaubt immer noch, das Keinklagenstadt ein zweites Hollywood wird. Auf einem Hügel am Ortseingang hat er den Stadtnamen schon mal vorsorglich in großen weißen Buchstaben aufstellen lassen. Das war ziemlich teuer, weil »Keinklagenstadt« als Name ziemlich lang ist.
Der Bürgermeister und ich mögen uns nicht besonders, das hat etwas mit Läusen zu tun und mit seinen Haaren, die er sich quer über den Kopf kämmt, damit man seine Glatze nicht sieht. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich werde von Anti begleitet. Meine Eltern stehen kurz vor einer wichtigen Premiere am Theater und da können sie unmöglich Urlaub machen. Deswegen soll meine Schwester in Berlin auf mich aufpassen.
»Muss ich jetzt auch noch den Babysitter spielen? Ich bin doch nicht eure Sklavin!«, hat sie gemault.
Dabei habe ich genau gesehen, dass sie hinter ihrem Haarvorhang zufrieden gegrinst hat, weil sie in die Hauptstadt fahren darf und das ganz schön cool findet.
Die Kapelle spielt immer noch. Es ist das vierte Lied und der Schaffner schaut schon nervös auf seine Uhr. Ich gähne, weil ich die ganze Nacht vor Aufregung nicht geschlafen habe.
»Denk immer daran: Auf dem roten Teppich musst du lächeln. Selbst wenn dir ein Kollege auf die Füße tritt, um sich zwischen dich und die Fotografen zu drängeln«, gibt mir meine Mutter als Tipp von Profi zu Profi mit auf den Weg. »Tritt ihm von hinten in die Kniekehle, dann wird er schon freiwillig aus dem Bild gehen. Aber vergiss nicht, dabei zu lächeln. Das ist wichtig, hörst du, mein
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