Coolman und ich. Rette sich, wer kann. (German Edition)
egal. Hauptsache, der kleine Lord erkennt mich nicht.
Doch darüber brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Kalkweiß weicht er vor mir zurück und murmelt: »Sie ist wieder da! Die gekränkte Gräfin!«
Hätte mich auch stark gewundert, wenn in dieser Burg keiner von Charles’ Ahnen als Geist herumspukt.
Der kleine Lord macht kehrt und rennt den Flur davon, um sich in seinem Zimmer einzuschließen. Hamlet lässt sich nicht so leicht einschüchtern und schnappt nach einem Zipfel des Bettlakens.
Er zerrt auf der einen, ich auf der anderen Seite.
»Sitz! Platz! Aus!«, zische ich, aber das beeindruckt ihn überhaupt nicht.
»Down!«, brüllt Lena aus ihrem Bett, und tatsächlich: Hamlet lässt auf der Stelle los und setzt sich brav vor mir auf den Boden.
Da hätte ich auch selber draufkommen können, dass das blöde Viech nur Englisch versteht.
»Danke!«, rufe ich Lena zu und renne schnell die Treppe hinunter.
Im Rittersaal kommt mir der Butler entgegen. Als er mich sieht, schlägt er ein Kreuz und flüstert: »Gott steh uns bei! Die gekränkte Gräfin ist zurück!«
Ich wüsste zu gern, wer die gekränkte Gräfin ist, aber jetzt ist nicht die Zeit für Gespenstergeschichten. Der Weg ist frei und ich verschwinde »Hu, hu, shuhu!« schreiend im Keller. Durch den Tunnel krabbele ich zurück in den Wald.
Auch wenn ich Nelsons Hut nicht gefunden habe, bin ich zufrieden, weil ich
1) COOLMAN einen Riesenschreck eingejagt habe,
2) dem kleinen Lord einen Riesenschreck eingejagt habe,
3) Lena zugesehen hat, wie ich dem kleinen Lord einen Riesenschreck eingejagt habe, und
4) der Butler nachts doch nicht am Herd angekettet wird, wie ich befürchtet hatte.
Ein ganz klein bisschen fühle ich mich jetzt tatsächlich wie Romeo. Nur ohne Balkon. Vor allem, weil Lena mich nicht verraten hat. Sie hat das Geisterspiel mitgespielt. Das musste sie nicht. Das musste sie ganz und gar nicht. Sie hat es trotzdem getan, und das ist ein gutes Zeichen, denke ich, als ich mich auf den Weg zu meinem Hochbett mache, um in dieser Nacht wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen.
9. Kapitel
Doch noch London
Die nächsten Tage verlaufen mehr oder weniger ereignislos. Nach dem unglücklichen Zwischenfall im Burggraben sind die deutsch-britischen Beziehungen etwas angespannt. Oder, um es genauer auszudrücken: Die Engländer sprechen nicht mehr mit uns. Aber das ist egal, ich verstehe ihren seltsamen Dialekt ja sowieso nicht.
Lena sehe ich nur im Unterricht, weil sie sich um den kleinen Lord kümmern muss. Er hat es mit den Nerven, und das hat mit dem nächtlichen Auftritt der gekränkten Gräfin zu tun. Ein bisschen habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Aber nicht sehr.
Alex und Justin haben ihre Gummiband-Experimente auf Schafe ausgeweitet, bisher jedoch keine erwähnenswerten Ergebnisse erzielt. Abgesehen davon, dass in dem kleinen Dorfladen jetzt alle Gummiprodukte restlos ausverkauft sind.
So ziehen meine Ferien und Harveys Dudelsackspiel eintönig an mir vorüber, während ich an meinem Schwarzbrot knabbere und darauf warte, dass ich endlich wieder nach Hause darf. Das Einzige, was die Tage unterscheidet, sind die Dichte des Nebels und die Größe der Regentropfen.
Vorschlag: Ehe ihr euch genauso langweilt wie ich, spulen wir einfach noch einmal zehn Tage vor, bis endlich wieder etwas Aufregendes passiert.
Gut festhalten, ich drücke jetzt auf
Fast Forward
.
Es ist zehn Tage später, Freitag früh, um genau zu sein, und morgen geht es endlich nach Hause. Zum Abschluss hat sich unser Reiseleiter, der gestern überraschend wieder aufgetaucht ist, etwas Besonderes einfallen lassen: Wir machen heute einen Tagesausflug nach London. Also, ins richtige London, und auch wirklich mittenrein und nicht nur in einen Vorort irgendwo in den Randbezirken.
Hat er zumindest versprochen.
Alex und Justin kommen nicht mit.
»Alter, was sollen wir da? Wir kennen London doch schon. Ist ja nicht so groß«, hat Alex gesagt und auf die Dorfstraße gezeigt.
»Außerdem stehen wir echt ganz kurz davor, unser erstes Schaf hüpfen zu lassen«, hat Justin ergänzt. »Wenn du irgendwo Gummibänder siehst, bring uns welche mit. Hier gibt es keine mehr.«
Das muss man ihnen lassen: Wenn die zwei etwas anpacken, dann richtig.
COOLMAN ist eifersüchtig. Deswegen sage ich ihm lieber nicht, dass Lena bei dem London-Ausflug mit dabei ist.
Allein.
Der kleine Lord hat keine Zeit. Wenn ich das richtig verstanden habe, muss er heute
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