Coolman und ich. Voll auf die zwölf (German Edition)
sie verliebt miteinander turteln.
»Da bist du ja wieder, Jungchen«, begrüßt mich Adolf Schmitz. »Alles fit?«
Ich nicke nur und senke meinen Blick auf den Küchentisch. Zwei Senioren, die sich eng umschlungen halten, sind kein schöner Anblick.
»Es ist sogar noch etwas von der gekochten Zunge da, falls du Hunger hast.« Der Alligator hält mir einen Teller hin und lächelt mich an.
Ich habe keinen Hunger, auf gekochte Zunge schon gar nicht, und selbst wenn, würde der mir spätestens jetzt vergehen. Adolf und Adele küssen sich vor meinen Augen, und das sieht aus, als würden sie dabei ihre Gebisse tauschen.
Es dauert eine Weile, bis sich Adolf und Adele wieder voneinander lösen. Wahrscheinlich haben sich ihre dritten Zähne beim Küssen ineinander verhakt, so wie bei Teenagern die Zahnspangen.
»Die Pflicht ruft, Jungchen«, verkündet Adolf Schmitz und gibt dem Alligator einen letzten Schmatzer auf den Mund. »Wenn du immer noch kämpfen willst, fangen wir gleich mit dem Training an!«
»Klar will ich«, antworte ich. Vor allem will ich so schnell wie möglich hier weg.
»Na, dann komm! Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagt Adolf Schmitz und geht in den Garten.
»Und was trainieren wir zuerst?«, frage ich und schiebe gleich alle Box-Fachbegriffe hinterher, die ich mir im Krankenhaus angelesen habe. »Deckung, Uppercut, Schwinger, Jab, linke Gerade, rechte Gerade?«
»Mähen«, antwortet Adolf Schmitz und zeigt erst auf das kniehohe Gras in unserem Garten, dann auf einen uralten Rasenmäher. Der sieht aus, als stammte er aus dem letzten Jahrhundert, als es noch keinen Strom gab und die Leute in Pferdekutschen reisten. Es ist so ein Ding, das man schieben muss, damit sich die Trommel mit den Messern dreht und die Rasenhalme einen Kopf kürzer macht. Ich bin sicher, das Ding steht unter Denkmalschutz, und ein Antiquitätenhändler würde einem bestimmt ein Vermögen dafür zahlen.
»Ich soll hier den Rasen mähen? In fünf Tagen ist der Kampf! Ich muss Boxen lernen, damit ich wenigstens den Hauch einer Chance habe.«
»Ich bin dein Trainer, vertrau mir«, erwidert Adolf Schmitz und macht es sich auf einem Liegestuhl bequem. »Wenn du hier fertig bist, machst du bei den Nachbarn weiter.«
»Bei welchen Nachbarn?«
»Bei allen«, antwortet Adolf Schmitz und deutet mit seinen Händen unbestimmt nach rechts und links.
Es ist genau wie in dem Film, den ich im Kino gesehen habe: »Karate Kid«.
Da muss der Junge am Anfang auch scheinbar völlig sinnlose Arbeiten erledigen: Autos polieren und so ein Zeug. Das findet er genauso blöd wie ich das Rasenmähen, aber am Ende merkt er, dass die Bewegungen beim Autopolieren genau die Bewegungen sind, die er auch für Karate braucht.
Adolf Schmitz muss den Film gesehen haben, weil er genau dieselbe Trainingsmethode anwendet ... auch wenn ich keine Ahnung habe, was Rasenmähen mit Boxen zu tun hat. Aber nur, weil ich keinen Sinn in dieser Sklavenarbeit erkenne, heißt das ja noch lange nicht, dass sie sinnlos ist.
Ich schnappe mir den Rasenmäher und mache mich an die Arbeit. Das Ding ist noch schwerfälliger, als ich gedacht habe. Die Trommel mit den Messern ist total verrostet und müsste dringend geölt werden. Aber das darf ich nicht, weil das mein Training ruinieren würde, sagt Adolf Schmitz, dem Adele auf der Terrasse gerade ein eisgekühltes Bier serviert.
Nach einer Stunde bin ich mit unserem Garten fertig. Adolf Schmitz schickt mich direkt rüber zu den Nachbarn, doch das ist halb so schlimm. Da drüben muss ich wenigstens nicht mit ansehen, wie er dem Alligator seine vielen Tattoos zeigt.
Am Abend bin ich fix und fertig. Ich habe in siebenunddreißig Gärten Rasen gemäht, das entspricht einer Fläche von ungefähr drei Fußballfeldern. Meine Knochen tun weh, und ich will nur noch schlafen.
Am nächsten Morgen – Tag vier vor dem Kampf – weckt mich Adolf Schmitz noch vor Sonnenaufgang.
»Aufstehen! Das Training geht weiter«, ruft er und zieht die Vorhänge in meinem Zimmer zur Seite.
Das mit den Vorhängen hätte Adolf Schmitz sich sparen können. Draußen ist es noch genauso dunkel wie hier drinnen.
Im Dämmerlicht kann ich erkennen, dass mein Trainer immer noch genau dieselben Sachen trägt wie gestern. Das nährt meinen schrecklichen Verdacht, dass er gar nicht in seinem Bett im Altersheim, sondern hier beim Alligator übernachtet hat. Es dauert eine Weile, bis ich die grauenhaften Bilder wieder aus meinem Kopf kriege.
Zum
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