Cop
der rechten Hosentasche und holt das Foto von Maggie heraus. Der Rand des Bildes ist vom vielen Anfassen braun und zerfasert. Einen Moment lang betrachtet er seine lächelnde Tochter; so hat sie damals im Jahrbuch der ersten Klasse gelächelt. Dann legt er das Foto auf die Theke, dreht es herum und schiebt es zu dem alten Mann hinüber.
»Haben Sie dieses Mädchen schon mal gesehen?«
Ohne auf das Foto zu schauen, schüttelt der Schuster den Kopf. Er hat es nicht mal versucht. Stattdessen blickt er mit leeren, unruhigen Augen auf irgendein Nichts in der Mitte des Ladens. »Nein, kenn ich nicht.«
»Und Sie haben auch nichts gehört?«, versucht es Chief Davis noch einmal.
Wieder schüttelt der Alte den Kopf und fasst sich dann an den Bügel seines Hörgeräts. »Vielleicht ist die Batterie alle.«
»Ja, vielleicht.«
»Uns verstehen Sie aber ziemlich gut«, meint Ian.
»Stimmt auch wieder.«
»Und jetzt schauen Sie sich bitte das Bild an.«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, ich hab nichts …«
Ian schlägt mit der flachen Hand auf die Theke. Das laute Klatschen lässt den Schuster zusammenzucken, als hätte man ihm eine Ohrfeige verpasst. »Schauen Sie sich verdammt noch mal das Bild an!«
»Ruhig«, sagt Chief Davis und legt Ian die Hand auf die Schulter. »Warum sollte der Mann uns anlügen?«
Seinen Chef ignorierend, beugt sich Ian über die Theke und starrt dem Alten ins Gesicht, bis dem nichts anders mehr übrig bleibt, als ihm in die Augen zu sehen. Der Schuster wirkt leicht verlegen, hält dem Blick aber für einige Sekunden stand, ehe er den seinen senkt und auf Ians Brust schaut.
»Das ist meine Tochter«, sagt Ian. »Sie ist vor über sieben Jahren verschwunden. Das Bild wurde kurz davor aufgenommen, jetzt sieht sie also ein bisschen anders aus. Sie ist vierzehn, im September wird sie fünfzehn. Vor nicht mal zwanzig Minuten hat sie mich angerufen, von dem Münztelefon direkt vor Ihrem Laden. Deshalb schauen Sie sich jetzt dieses gottverdammte Foto an und sagen mir, ob Sie sie gesehen haben.«
Und tatsächlich blickt der Schuster auf das Foto. Nach einer Weile streckt er die Hand aus und berührt es mit der geschwärzten Spitze seines Zeigefingers, ganz vorsichtig nur, und trotzdem hätte Ian es ihm beinahe aus der Hand gerissen. Er beherrscht sich und verschränkt die Arme hinter dem Rücken, während er zusieht, wie sich das Gesicht des Schusters entspannt, wie seine Augen Halt finden auf dem Foto. Schließlich kratzt sich der alte Mann an der Backe.
»Ich hab sie kaum gesehen«, meint er, ohne aufzuschauen. »Aber ja, könnte sein, dass es dieses Mädchen war.«
»War ein Mann bei ihr?«
»Sie meinen den, der sie mitgenommen hat?«
»Genau. Haben Sie ihn gesehen?«
Der Schuster nickt. »Ja, aber ich kenne ihn nicht. Ich bin ja erst seit vier Jahren hier, und ich habe nur mit den Leuten zu tun, die in meinen Laden kommen.«
»Sie sind ihm also vorher noch nie begegnet?«
»Doch. Ich weiß nicht, wie er heißt, aber ich glaube, ich habe ihn ein paarmal im Albertsons gesehen.«
»Auf einem Foto würden Sie ihn also wiedererkennen?«
Abermals nickt er. »Glaube schon.«
»Über sechzig, graues Haar, Halbglatze, rot geäderte Nase, etwa so groß wie ich. Kommt das hin?«
»Er war dicker als Sie, aber von der Größe her …« Der Schuster hebt den Arm, um die Höhe abzuschätzen. »Ja, könnte passen. Wissen Sie denn schon, wer es war?«
Ian schüttelt den Kopf. »Meine Tochter hat ihn mir beschrieben.«
»War er zu Fuß unterwegs?«, fragt Chief Davis.
Eine kurze Pause. »Nein. Nein, ich hab einen Motor gehört. Aber gesehen hab ich den Wagen nicht, wahrscheinlich hat er seitlich vom Schaufenster geparkt.«
»War es ein normaler Wagen oder ein Pick-up?«, fragt Ian.
»Ian«, wendet Davis ein, »er hat doch gesagt, er hat ihn nicht …«
»Ein Pick-up.« Der Schuster nickt, als habe er eine Bestätigung aus seinem Inneren empfangen. »Ich bin mir sicher.«
»Danke«, sagt Ian. »Sie haben uns sehr geholfen. Später kommt wahrscheinlich ein Kollege vorbei, um Ihnen ein paar Fahndungsfotos vorzulegen. Sollte der Mann nicht dabei sein, müssen Sie vielleicht rauf nach Mencken und den Kollegen helfen, ein Phantombild zu erstellen.« Während er das sagt, greift er über die Theke, nimmt das Foto und steckt es wieder in den Geldbeutel, den er in der Hosentasche verschwinden lässt. »Und falls der Mann wieder auftaucht, rufen Sie uns bitte sofort an.«
»In Ordnung.«
»Mensch, Ian«,
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