Cop
Einschussloch in der Brust. Seine Augen sind geöffnet, blutunterlaufene Schlitze in einem blassen, entkräfteten, zur Grimasse verzerrten Gesicht, das beinahe durchsichtig wirkt. Neben ihm liegt ein toter Hund im eigenen Blut.
»Ian, was zum Teufel ist hier passiert?«
»Ich glaube, sie sind tot.« Ein kaum hörbares Flüstern.
»Wie geht es dir?«
»Bin nicht … tot.«
Mit einem Nicken steht Diego auf und geht zu Chief Davis hinüber. Sein Gesicht endet knapp unter der Oberlippe: eine Reihe zerschmetterter Zähne, ähnlich der geriffelten Klinge eines Brotmessers, und dann – nichts. Wenn er wollte, könnte Diego das Gaumendach mit der Stiefelspitze berühren. Er will nicht. Die Haut der oberen Gesichtshälfte ist komplett verschwunden, wie weggewischt. Ein Auge fehlt; an dessen Stelle ist nur noch eine Höhle zu sehen, rot wie ein blutiges Steak, in der sich eine schwarze Flüssigkeit gesammelt hat. Das andere Auge flimmert vor Angst und Schmerz. Plötzlich bewegt es sich und sieht Diego an, der sich beherrschen muss, um nicht vor Schreck zurückzuweichen.
»Der Krankenwagen ist unterwegs, Chief.«
Ein Gurgeln dringt aus Davis’ durchlöcherter Kehle. Langsam schiebt sich ein Bluttropfen über den Hals und kullert hinab zum Hemdkragen, wo er allmählich versickert.
»Du wirst nicht sterben.«
Noch ein Gurgeln.
Davis’ Auge huscht nach links, zu seiner Hand. Sein Ringfinger zuckt.
»Betty weiß, dass du sie liebst.« Er zögert. »Ich bin gleich wieder da. Ich muss nur kurz nach den anderen sehen.«
Diego weicht einen Schritt zurück, dreht sich um und läuft zu Bill Finch. Besonders gut leiden konnte er den Typen nie – immerhin hat er einem Freund die Frau ausgespannt –, doch der leere Blick, den Finch jetzt auf den Himmel richtet, gefällt ihm erst recht nicht.
Er beugt sich zu ihm hinunter.
»Bill?«
Keine Antwort. Finchs Brust rührt sich nicht. Seine Gliedmaßen zucken nicht, seine Lippen bleiben stumm. Das ist nicht der Mann, den Diego gekannt hat. Das ist eine Wachspuppe, die nur aussieht wie Bill Finch.
»Tot?«, kommt es aus Ians Richtung.
Diego nickt.
Ian schließt die Augen und lässt den Kopf auf den Boden sinken.
»Alles klar mit dir, Ian?«
Keine Antwort.
Diego steht auf und dreht sich einmal im Kreis. Was soll er tun? Was um Himmels willen soll er tun? Mitten auf der Einfahrt geht er in die Hocke und wartet. In der Ferne heulen schon die Sirenen.
Die Sanitäter tragen Ian und Davis in die Krankenwagen. William Francis Finch jr., zweiundvierzig Jahre alt, wird noch vor Ort für tot erklärt. Der Verstorbene hinterlässt seine Ehefrau und zwei Kinder. Diego fragt sich, ob er Debbie anrufen soll. Vielleicht wäre es besser, wenn sie es von einem Freund erfährt statt von Sheriff Sizemore. Bei dem Gedanken, die vier Worte auszusprechen, wird ihm schlecht: Dein Mann ist tot. Vier Worte, die eine ganze Welt zerstören können. Und sie hat doch schon so viel durchgemacht. Trotzdem greift er zum Handy. Er muss sie anrufen. Sie braucht jetzt jemanden, der ihr zuhört.
Doch bevor er wählen kann, rollt ein grauer El Camino die Einfahrt herauf. Hinter dem Steuer sitzt Henrys Bruder Donald und starrt ausdruckslos durch die Windschutzscheibe. Sein Gesicht ist weiß wie ein leeres Blatt Papier. Unter Sirenengeheul rauschen die beiden Krankenwagen an ihm vorbei zur Crouch Avenue, auf dem Weg zum Mencken Regional Medical Center. Neben Diego hält Donald an und steigt aus.
»Mein Gott, was …«
Diego packt ihn am Arm, zerrt ihn zu seinem Wagen und reißt die hintere Tür auf. »Einsteigen.«
»Warum das denn?«
»Steig verdammt noch mal ein.«
»Bin ich jetzt etwa verhaftet?«
»Wenn du so weitermachst, ja.«
Donald zögert. Er blickt sich um und fährt sich mit der Zunge über die Zähne. Natürlich hat er mitbekommen, wie es auf der Einfahrt aussieht: überall Blut und Knochensplitter, mehrere Streifenwagen, ein abgedeckter Leichnam, der tote Hund. Und sicher ist ihm aufgefallen, was fehlt: Henrys Pick-up. Henry selbst. Er kann gar nicht anders, als sich das eine oder andere zusammenzureimen. Nach ein paar Augenblicken nickt er und steigt ein.
Als er das linke Bein hineingezogen hat, knallt Diego die Tür zu.
»Ich hab keine Ahnung, was du da redest.«
»Du lügst.«
»Tu ich nicht!«
»Wie ist dein Verhältnis zu deinem Bruder?«
»Henry ist zwanzig Jahre älter als ich. Er könnte mein Vater sein.«
»Du hast die Frage nicht beantwortet.«
»Wir hatten nie viel
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