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Cop

Cop

Titel: Cop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Jahn
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ein hervorragender Schütze. Also noch einmal: Einatmen, ausatmen.
    Er hält die Luft an, springt auf und zielt.
    Eigentlich hatte er nie eine Chance.
    Noch bevor er den Mann zu Gesicht bekommen hat – der jetzt am Fuß der Treppe steht, breitbeinig, den Gewehrkolben in die Schulterbeuge gestemmt, das linke Auge geschlossen und den Punkt fest im Visier, an dem Ian, wie er ganz richtig vermutet hat, soeben aufgetaucht ist –, spürt er einen leichten Stoß in der Brust, knapp rechts unter dem Brustbein, wie ein Schlag mit einem Gummihammer. Es tut nicht mal weh, zumindest nicht sofort, doch plötzlich bekommt er keine Luft mehr. Er atmet ein, er atmet aus, aber es tut sich nichts, er hört bloß ein merkwürdiges, feuchtes Schlürfen von unter seinem Hemd. Verwirrt blickt er an sich hinab: Auf dem Stoff glänzt ein kleiner Blutfleck. Er schaut auf Henry Dean. Vielleicht könnte der ihm erklären, was da eben passiert ist. Aber nein, der Mann rennt schon die Vortreppe hinauf, zurück ins Haus. Ian stürzt auf die Knie, seine Kniescheiben knirschen. Kies bohrt sich in seine Haut, aber er spürt nichts, er weiß, dass er jetzt Schmerz empfinden sollte, aber er spürt nichts. Wieder blickt er an sich hinab. Das Blut tropft nun schon auf den Schotter.
    Nein, das hat er sich ganz anders vorgestellt.
    Im nächsten Moment liegt er auf dem Boden und saugt feinen, weißen Staub ein. Er spuckt aus, versucht richtig zu atmen, doch jedes Mal hört er dasselbe schwache Keuchen, ein Pfeifen wie aus einem durchlöcherten Autoreifen.
    Schritte auf dem Kies, schnelle Schritte.
    Ian rollt sich auf die Seite, um zu sehen, was da vor sich geht.
    Gerade hilft Henry Dean seiner Frau in einen grünen Ford Ranger.
    Das ist unmöglich. Dean stand doch eben noch in der Einfahrt, die Waffe auf ihn gerichtet, einen Faden weißen Rauches über dem Lauf. Er hatte gar nicht die Zeit, ins Haus zu gehen, seine Frau zu holen, wieder rauszukommen und mit ihr zum Pick-up zu laufen. Die Frau heult, ihr rechter Fuß ist blutverschmiert, an der Ferse hat sich ein Hautfetzen gelöst.
    Ian zwinkert mit den Augen.
    Und schon sitzt Beatrice im Pick-up, die Tür knallt hinter ihr zu, und Henry Dean rennt wieder die Vortreppe hinauf.
    Etwas ist mit der Zeit passiert. Irgendwer hat sie kaputt gemacht.
    Wo ist meine Waffe? Ich kann ihn aufhalten, wenn ich sie in die Hand bekomme.
    Er rollt sich auf die andere Seite. Scharfe Steine pressen sich in seinen Rücken. Er schaut sich nach der Waffe um. Da drüben ist sie, einen knappen Meter von ihm entfernt. Wenn er Glück hat, kommt er dran. Er streckt den Arm aus, spreizt die Hand, streift den Lauf mit den Fingerspitzen. Geschafft. Er zieht die Pistole zu sich heran, klammert sich an den Griff und rollt sich zurück Richtung Haus.
    Wo Henry Dean gerade ein Mädchen aus der Tür schleift. Maggie. Sie ist blass und dünn und blutet aus der Nase, aber Ian ist sich sofort sicher: Das ist Maggie. Das ist seine Tochter. Wie erwachsen sie ist, fast schon eine Frau. Und der Mann, der sie am Handgelenk hält, hat sie ihm weggenommen. Er hat ihr ihre Kindheit gestohlen.
    Ian zielt.
    Doch Dean hat ihn schon gesehen. Er zerrt Maggie näher heran, drückt sie an sich wie einen menschlichen Schild. Sie grapscht nach seinen Fingern, um seinen Griff zu lösen, aber sie hat keine Chance. Blut tropft aus ihrer Nase auf Deans massige Arme.
    »Schieß doch, Hunt! Los, erschieß deine eigene Tochter!«
    Ian versucht, auf seine Beine zu zielen, er will ihm die Füße wegschießen, doch seine Hände zittern zu stark, und was, wenn er Maggie trifft? Er könnte nie mehr in den Spiegel schauen.
    Dean geht weiter auf ihn zu, Maggie immer noch an sich gepresst, bis er unmittelbar vor ihm steht. Und ihm die Pistole aus der Hand tritt.
    »Bitte, Daddy! Hilf mir!« Maggie streckt die Hand nach ihm aus, an ihrem linken Nasenloch zerplatzt eine blutige Rotzblase. Tränen fließen über ihr Gesicht, Blut schimmert auf ihren Zähnen.
    Auch Ian streckt die Hand aus. »Mein Baby«, stammelt er, »meine Maggie.«
    Im selben Moment rast eine Stiefelspitze auf ihn zu, ein verwischter Schemen, der ihn mitten im Gesicht trifft. Schwärze.
    Als er aufwacht, hört er wieder das schwache Zischen wie von Luft, die aus einem löchrigen Autoreifen entweicht, nur dass das Geräusch aus seiner Lunge kommt. Und jetzt tut es auch weh, richtig weh. Es fühlt sich an, als wäre in seiner Brust etwas abgetrennt, als wäre da irgendeine Tür zugeschlagen. Er kann nicht

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