Cop
er weiß auch, dass Ian aus purer Verzweiflung gehandelt hat. Und aus Liebe. Und von beidem meint Diego etwas zu verstehen. Was er hier im Wohnwagen sieht, ist die hässlichste Seite des reinsten aller Gefühle, doch er kennt diese Gefühle. Außerdem ist Ian sein Freund. Er hat bei ihm auf der Couch geschlafen, er hat mit ihm an einem Tisch gegessen, er hat mit Elias Videospiele gespielt. Er hat vor seinen Augen geheult, als Debbie ihn vor die Tür gesetzt hat. Vermutlich erinnert er sich nicht mehr daran, weil er sturzbesoffen war, und Diego wird es ihm nicht sagen, um ihn nicht zu beschämen, aber ja, er hat vor seinen Augen geheult. Und wenn er jetzt das FBI informiert und das FBI sich im Wohnwagen umsieht, wird zweifellos ans Licht kommen, was sich letzte Nacht hier abgespielt hat.
Aber wenn er den Mund hält, wird das FBI womöglich gar nicht hier vorbeischauen. Die Agents werden überall sein, nur nicht hier, denn sie werden sich voll und ganz auf die Suche nach Henry konzentrieren. Und hier ist er ganz sicher nicht.
Oder soll er im Wohnwagen aufräumen, um Ians Tat zu vertuschen, und dann das FBI informieren? Oder sich einfach irgendeine Geschichte ausdenken?
Verdammt, Ian, wie konntest du mich nur in eine so beschissene Lage bringen?
Natürlich kennt er die Antwort. Ian hat bloß an eines gedacht – an seine Tochter – und an nichts anderes. Alles andere ist ihm egal.
Nein, er kann die Spuren von Ians Tat nicht vernichten und sich dann beim FBI melden. Er könnte sich nie sicher sein, ob er nicht doch einen Hinweis übersehen hat, der ihn und Ian belastet. Außerdem will er dem FBI nicht erklären müssen, wie er an die Adresse in Kalifornien gekommen ist. Er versteht, warum Ian getan hat, was er getan hat, und auch wenn er niemals fähig wäre, etwas Ähnliches zu tun, wird er ihn dafür nicht den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Vielleicht wäre es das einzig Richtige, aber nein, das tut er nicht.
Er kann Ians Tat nicht vertuschen und dann das FBI informieren. Aber er kann auch nicht alles lassen, wie es ist, oder? Kann sein, dass es eine ganze Weile dauert, bis irgendwer hierherkommt. Genauso gut könnte schon morgen jemand auftauchen, und diesem Jemand würde sich derselbe Anblick bieten wie ihm.
»Verdammt, Ian«, murmelt er.
Diego schließt die Augen und denkt nach. Dann öffnet er sie wieder und macht sich an die Arbeit.
Er streift sich ein Paar Handschuhe über und löst Donalds Fesseln. Er schleift ihn ins Wohnzimmer und legt ihn der Länge nach auf die Couch. Er wickelt die einzelnen Finger und Zehen aus und legt sie so neben Hände und Füße, dass die Leiche auf den ersten Blick vollständig wirkt. (Zwischendurch muss er einmal zur Toilette rennen, um sich zu übergeben.) Er spült die Mordwaffe ab und deponiert sie neben der Tür. Er hebt den Stuhl auf, schiebt ihn unter den Tisch. Er läuft von vorne bis hinten durch den Wohnwagen und überprüft die Fenster. Alle geschlossen.
Schließlich geht er in die Küche, kippt etwas Haferbrei in einen Topf, lässt Wasser drauflaufen, stellt den Topf auf den Herd und dreht das Gas auf. Der alte Herd entzündet sich nicht von selbst, und Diego hilft nicht nach. Ein leises Zischen, als wollte die Gasleitung sagen: Pssst.
Diego kann nicht fassen, was er hier gerade tut. Und tut es trotzdem.
Zurück im Esszimmer reißt er ein Streichholz an und entzündet die halb geschmolzene Kerze auf dem Tisch. Das sollte reichen, sofern die Spurensicherung nicht allzu gründlich in der Asche wühlt. Hofft er zumindest. Mit etwas Glück wird es aussehen, als hätte sich Donald einen Haferbrei aufgesetzt, um sich dann auf die Couch zu legen und zu warten, bis der Brei kocht, als plötzlich … irgendwas geschehen ist. Irgendwas.
Diego bläst die Kerze wieder aus und geht zur Couch. Er richtet die Leiche auf, steckt ihr eine Zigarette zwischen die Lippen und drückt ihr ein Feuerzeug in die Hand. Dann geht er zurück zum Tisch und zündet die Kerze wieder an. Mittlerweile riecht es ziemlich penetrant nach Gas. Nichts wie raus hier. Er hat getan, was er konnte.
Wahrscheinlich hat das Beil Kerben in den Knochen hinterlassen, die der Gerichtsmedizin früher oder später auffallen werden. Aber das wird ein paar Tage dauern – Zeit genug für Ian, und auf Diegos Anwesenheit dürfte überhaupt nichts hinweisen. Außer er hat richtig Pech.
Auf dem Weg nach draußen nimmt er noch das Beil mit. Er schließt die Tür und sperrt ab, läuft zum Wagen und steigt ein. Die
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