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Cop

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Titel: Cop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Jahn
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Daddy.
    Alles andere ist ihm egal.
    Maggie sitzt in dem grauen Dodge Ram, eingezwängt zwischen Henry und Beatrice. Im Führerhäuschen stinkt es nach den Ausdünstungen der beiden Erwachsenen. Maggies Augen tränen in der stickigen Luft, auf ihrer Stirn glänzen Schweißperlen, doch Henry weigert sich, die Klimaanlage einzuschalten. Dann säuft der Motor wie blöd, hat er gesagt, und er habe wirklich keine Lust, an jeder zweiten Tankstelle zu halten.
    Vor einer guten Stunde haben sie San Antonio verlassen, zumindest nach Maggies Berechnungen. Sie hat bis viertausendzwei, viertausenddrei, viertausendvier gezählt, und eine Stunde hat genau dreitausendsechshundert Sekunden. Also sollte es eine gute Stunde her sein, außer sie hat viel zu schnell gezählt.
    Bei ihrem Zwischenstopp in San Antonio hat sie kurz Hoffnung geschöpft. Vielleicht kann ich jetzt fliehen, hat sie überlegt. Doch sie haben ihr keine Chance gelassen. Sie haben an einem Fastfood-Laden gehalten und Burger gekauft, um sie dann im Wagen zu frühstücken, Maggie immer zwischen Henry und Beatrice.
    Bei jedem einzelnen Bissen hat sie an die Leute gedacht, die Henry heute Morgen begraben hat. Flint und Naomi werden nichts mehr essen, nie wieder. Aber warum hat er die beiden umgebracht? Das war doch völlig unnötig. Er hat versucht, es ihr zu erklären: Er habe keine Wahl gehabt, denn er habe ihren Pick-up gebraucht. Aber Maggie glaubt ihm kein Wort. Das ist gelogen, auch wenn er es selber glaubt. Es hätte bestimmt eine andere Möglichkeit gegeben, sich ein neues Auto zu besorgen, ohne dafür zwei Menschen umzubringen. Mittlerweile hat sie den Verdacht, dass es ihm Spaß macht, Leute …
    »Na leck mich am Arsch«, sagt Henry.
    Beatrice sieht ihn an. »Was ist?«
    »Da.« Er deutet durch die Windschutzscheibe, die von unzähligen toten Insekten gesprenkelt ist.
    »Der Volkswagen?«
    »Nein. Direkt davor.«
    Jetzt weiß Maggie, was er meint: einen Ford Mustang. Sieht aus wie Daddys Wagen. Das ist Daddys Wagen: rot mit einer grauen Kofferraumklappe.
    Sie erinnert sich, wie sie früher mit Daddy in seinem Mustang gefahren ist. Manchmal, wenn sie ganz allein auf der Straße waren, durfte sie den Schalthebel bedienen. Er trat die Kupplung, und sie schob den Hebel in den nächsten Gang. Das war ein tolles, aufregendes Gefühl. An dem schwarzen Knauf, der in ihrer Hand vibrierte, spürte sie die unglaubliche Kraft des Motors, ein Zittern, das sich durch ihren ganzen Körper fortsetzte. Irgendwie beängstigend, aber gerade oder zumindest auch deshalb machte es so viel Spaß. Ab und zu nahm er sie sogar auf den Schoß und ließ sie lenken. Dann kurvte sie wild hin und her, lachte aus vollem Hals und drückte dauernd auf die Hupe. Am Schluss, wenn Daddy völlig verschwitzt war, meinte er immer, sie sei der mutigste Mensch, den er kennt, der mutigste und der verrückteste. Und sie steckte die Zunge raus und schüttelte den Kopf und johlte und lachte und grunzte wie ein wild gewordener Affe.
    »Sag ich doch«, erwiderte er jedes Mal, »total durchgeknallt.«
    Henry steigt aufs Gas. Offenbar will er den roten Mustang einholen. Er wechselt auf die linke Spur, rauscht an dem Volkswagen vorbei und zieht knapp vor ihm wieder nach rechts. Als der Volkswagen hupt, hält er den ausgestreckten Mittelfinger vor den Rückspiegel.
    Maggie duckt sich, um einen Blick ins Innere des roten Mustang zu werfen. Ja, es ist Daddy. Sie erkennt ihn am Hinterkopf, an seinem dünnen blonden Haar. Er ist es, sie ist sich sicher. Dabei hatte sie solche Angst, dass er es nicht sein würde, dass er es gar nicht sein könnte, weil er tot ist. Aber er ist nicht tot, nein, er sitzt in seinem roten Mustang. Gestern hat sie ihn auf dem Kies liegen sehen, ganz voller Blut, und dann hat Henry ihm auch noch mitten ins Gesicht getreten, sein Kopf wurde zur Seite gerissen und ist einfach liegen geblieben. Da hatte sie solche Angst, dass er tot ist. Sie hat sich immer wieder gesagt, dass es nicht möglich ist, dass er nicht tot sein kann, aber die Angst ist geblieben.
    Nein. Sie hat die ganze Zeit gewusst, dass er lebt.
    »Das ist mein Daddy.«
    Dafür bekommt sie einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. »Halt dein Maul.«
    Sie mustert Henry. Offensichtlich meint er es ernst.
    Sein Blick wandert von ihr zur Windschutzscheibe. »Scheiße!«
    Ihr Daddy lebt. Sie hatte solche Angst, aber er lebt. In ihrer Brust breitet sich ein wohliges Gefühl aus, als würde in ihrem Inneren die Sonne aufgehen, ihre

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