Cop
anscheinend hat sich jemand draufgelegt – die Laken sind verknittert, in der Mitte ist noch eine Mulde zu erkennen. Und in der Mulde: noch mehr Blut. Auf dem Boden liegt ein zerknülltes Krankenhaushemd.
Eine Schublade der Kommode steht offen, ein Hemd hängt heraus.
Und wieder Blut. Die Spuren sind eindeutig – Ian war hier, ist aber nicht lange geblieben.
Keine Spur von ihm selbst.
Von Donald auch nicht.
Diego hat keine Wahl. Er muss zu den Deans.
Auf dem Weg versucht er es erneut auf Ians Handy, zum dritten oder vierten Mal. Nach dem fünften Klingeln meldet sich der Anrufbeantworter. Wie die Male zuvor. Er legt auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen – wozu auch? –, und steckt das Telefon zurück in seine Tasche.
Diegos Wagen rollt die Einfahrt hinauf. Eine surreale Erfahrung, überall Spuren der gestrigen Ereignisse: rot gefärbter Kies, gelbes Absperrband um den Tatort. Unter der Vortreppe glitzert eine .22er-Hülse. Müssen die Jungs vom County übersehen haben.
Das alles lässt Diego links liegen. Er fährt weiter zu einem bescheidenen Wohnwagen, der aufgebockt auf Betonblöcken hinter dem Haus steht. Achsen und Räder sind halb weggerostet, die Reifen längst abgefallen. Gummistreifen liegen im trockenen Gras darunter wie prähistorische Schlangen. Zur Eingangstür führt eine handgezimmerte Treppe, eine verwitterte, ergraute Konstruktion aus Sperrholz und Kanthölzern, gepunktet vom trüben Kupfer korrodierter Nagelköpfe. Der Wagen selbst ist in blassem Grün lackiert, die Blechwände sind an mehreren Stellen verbeult. Zerfetzte, ausgefranste Fliegengitter hängen von den Fenstern wie Flaggen nach einer verlorenen Schlacht. Aus den Bitumenschindeln auf dem Dach ragt eine Antenne hervor.
Diego parkt neben Donalds El Camino und steigt aus.
»In Ordnung, Diego«, macht er sich Mut, während er den Daumen ins Pistolenhalfter schiebt, um den Verschluss zu lösen. Er geht die Treppe hinauf – Ferse-Ballen, Klick-Klack – und bleibt vor der schmalen Metalltür stehen, auf einer Fußmatte, auf der Yosemite Sam zu sehen ist, der ihn von unten herauf mit einem Gewehr bedroht. Diego hat noch nicht mal Hallo gesagt, und schon hat er eine Waffe im Gesicht.
»Peng«, flüstert er, bevor er die Klingel links neben der Tür drückt.
Ein Ding-Dong ertönt von drinnen. Er wartet, doch als sich nach einer Weile immer noch nichts getan hat, klopft er an. Ein hohles Pochen, die Metalltür klappert im Rahmen.
»Donald«, sagt er, »hier ist Diego. Officer Peña. Lass mich rein.«
Donald lässt ihn nicht rein.
Mit der rechten Hand zieht Diego seine SIG, mit der linken packt er den Knauf und dreht ihn vorsichtig herum. Nicht abgeschlossen. Er drückt dagegen, nur ein bisschen. Einatmen, ausatmen. Dann presst er sich mit dem Rücken an die Außenwand und stößt die Tür auf.
Ein schneller Blick ins Innere. Sollte Donald auf ihn warten, will er ihm keine Zeit geben, zu zielen und abzudrücken. Drinnen ist es dunkel und heiß, die Vorhänge sind zugezogen. Aber ein Licht brennt, eine trübe Lampe im träge rotierenden Deckenventilator. Das Holzfurnier der Wände lässt den Raum düster und erdrückend klein erscheinen. An der Decke sitzen Fliegen.
»Donald? Hier ist die Polizei!«
Keine Antwort.
Nachdem er noch einmal durchgeatmet hat, betritt Diego den Wohnbereich. Er kann nichts Ungewöhnliches entdecken – aber nur, weil ihm die offene Tür den Blick auf die rechte Hälfte des Wohnwagens versperrt. Links erwartet ihn tatsächlich bloß das Bild eines typischen Junggesellenzimmers: ein durchgesessener Sessel, eine durchgesessene Couch, ein Esstablett mit einem halb gegessenen Fertiggericht, ein paar leere Bierdosen auf dem Boden und, mit Reißzwecken an die Wand gepinnt, ein Playboy -Centerfold.
Doch als er sich einen weiteren Schritt vorwagt, an der Eingangstür vorbei, hat er plötzlich freie Sicht auf den Essbereich. Zuerst fällt ihm der Tisch auf, der von Zetteln überhäuft ist, und darauf verstreut ein paar einzelne Socken, Kugelschreiber und Bleistifte, ein Schlüsselbund und ein gelber, linierter Block mit blutigen Fingerabdrücken. In der Mitte steht eine weiße, in der Sommerhitze halb geschmolzene Kerze, daneben eine Glasschüssel mit einer braunen Suppe, in der mehrere undefinierbare, von Küchenrolle umwickelte Klumpen schwimmen. Erst dann entdeckt er, was sich zwischen ihm und dem Tisch befindet: ein Stuhl, der zur Seite gekippt ist, und auf dem Stuhl: ein Mann. Donald. Dem sämtliche
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