Copyworld: Roman (German Edition)
eine der gläsernen Gassen
und rennt mit schlafwandlerischer Sicherheit durch das Labyrinth. “Geleit
stop!” dröhnt eine befehlsgewohnte Stimme durch den Raum. Die drei verbliebenen
Protektoren verharren sofort, zwei
greifen nach Hyazinths Oberarmen, der dritte schlingt ihm von hinten die Arme
um den Leib. Hyazinth ist derart verblüfft, daß er zunächst gar nicht auf die
Vorgänge in der Halle achtet, sondern nur in die versteinerten Gesichter seiner
Begleiter schaut. Obwohl diese sich offenkundig sehr beherrschen, erkennt er in
den Augen des einen ein wütendes Flackern. Dann hört er die Schreie des vierten
Protektors.
“Deva, ich liebe dich… ich liebe
dich… ich will dich doch nur einmal sehen… einmal nur…”
Plötzlich vernimmt er einen
dumpfen Aufprall. Der Protektor taumelt zurück, offenbar ist er gegen eine Glaswand
gelaufen. Mit vorgestreckten Händen tastet er nach allen Seiten, und überall
sind anscheinend Wände aus Panzerglas…
“Er ist ganz schön weit
gekommen”, knurrt einer von Hyazinths Begleitern, “Sei still, du Quatschmaul!”
zischt ein anderer böse. In diesem Augenblick schießen vor und hinter Hyazinth
und seinen Begleitern zwei durchsichtige Platten mit einem leisen Fauchen aus
dem Boden: Sie sind eingeschlossen, ebenso wie der andere Mann, der sich so
seltsam verhält.
“Das haben wir nun davon, ihr
Idioten!” schimpft der Dritte. “Drei Wochen Konditionierung, bloß weil ihr eure
dämlichen Fressen nicht halten könnt!”
“Wir wären sowieso in die Mühle
gekommen”, brummt der eine noch, aber als Hyazinth verwirrt fragt, was denn
überhaupt los sei, versteinerten sie wieder und sind so stumm, als sei noch nie
im Leben ein Wort über ihre Lippen gekommen.
Sie halten ihn zwar fest, aber
Hyazinth hat nicht das Gefühl, der Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit zu sein.
Offenbar handeln die drei Protektoren nur nach einem bestimmten Reglement, das
durch den seltsamen Ausbruch des vierten Mannes in Kraft gesetzt wurde. Oder
durch diesen anonymen Befehl: Geleit stop!
Zwar halten sie ihn gepackt, doch
die Griffe sind alles andere als derb, eher scheint es Hyazinth, daß die Männer
nur der Form halber reagierten. Eigentlich könnten sie ihn ruhig aus der
Umklammerung entlassen, denn aus der gläsernen Zelle gibt es kein Entrinnen; er
kann es an den vergeblichen Bemühungen jenes Mannes sehen, der immer noch
brüllt, daß er den Ersten Exarchen mehr
liebe als sein Leben.
Unmerklich erst, dann so schnell
als sprühe jemand Farbe auf das Panzerglas, trüben sich die Trennwände der
Zelle ein. Hyazinth sieht nur noch einen milchigweißen Würfel und hört auch
nicht mehr die Stimme des Mannes.
Einer seiner Bewacher stöhnt
leise auf. Als die Wände Sekunden später wieder glasklar sind, ist der vierte
Protektor spurlos verschwunden…
“Extomie…”, flüstert hinter ihm
jemand entsetzt, aber auf seine erneute Frage erhält er auch diesmal keine
Antwort.
Durch das Gewirr der gläsernen
Gassen kommen vier andere Protektoren, die beiden Trennwände, die plötzlich vor
und hinter ihnen aus dem Boden aufstiegen, gleiten zurück und gebend den Weg
frei. Betont sachlich wird er von den Neuankömmlingen aufgefordert, ihnen zu
folgen. Die anderen drei marschieren mit furchtsamen Mienen zurück.
Extomie, überlegt Hyazinth
verwundert, was soll das sein? Ausschneiden, Herausschneiden, Ausschnitt – oder
gibt es noch eine andere, ihm unbekannte Bedeutung? Auf jeden Fall ist der Mann
auf geheimnisvolle Art und Weise hinweggeschafft worden. Vielleicht hat Korund
Stein keine Zeit für ihn, weil er ihn – Hyazinth – erwartet. Aber warum dann
diese unheimliche Prozedur?
Lange denkt er darüber nicht
nach, denn seine Überlegungen haben zum augenblicklich Wichtigsten
zurückgefunden, zur unmittelbar bevorstehenden Audienz. Es wird für ihn sein,
als sähe er das erste Mal in seinem Leben den Sonnenaufgang. Denn seit Korund
Stein Erster Exarch ist, hat er ihn nur
auf Holographien gesehen. Zwar ähneln diese sehr dem ehemaligen Obersten
Kindschafter – doch gilt es in Weltenstein als Sakrileg, auch nur daran zu
denken, daß der große Ehrenmärtyrer einst ein gewöhnlicher Mensch war.
Bescheidenheit verbietet es dem ersten Repräsentanten der DTEA, sich öffentlich
zur Schau zu stellen. Der Exarch hat es
selbst in einem seiner täglichen Morgenworte erläutert. Wird man gebraucht,
erfüllt man seine Pflicht, wird man nicht mehr gebraucht, zieht man sich
zurück,
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