Copyworld: Roman (German Edition)
nun schärfer hervortretende schmale Nase mehr als aufgewogen. Im
tiefen Blau des Trikots funkelt wie eine kleine Sonne der Zirkon. Hyazinths
Erscheinung ist eine meisterhaft gelungene Kombination von Würde und Jugend,
und diese Erkenntnis gibt ihm seine Ruhe zurück. Warum sollten die Götter ihren
Liebling gerade heute verlassen?
Der Kurier wechselt ein paar
halblaute Worte mit dem Wachpersonal und verschwindet in einer der vielen Türen
des eigenartigen Raumes, der Hyazinth auf einmal wieder Unbehagen einflößt. Die
acht Protektoren betrachten ihn neugierig, dann kommen vier von ihnen auf
Hyazinth zu. Es sind sehr kräftige Burschen, und die Rangabzeichen weisen sie
als hohe Offiziere aus. Sie folgen einer bizarren Zickzacklinie, denn der Raum
ist durch zahllose Wände aus Panzerglas in ein für Unkundige undurchschaubares
Labyrinth zerteilt. Ein Irrgarten, halb so groß wie eine Turnhalle. Die Männer
nehmen ihn in die Mitte und führen ihn auf verschlungenen Wegen durch die
Anlage. Die Schlitze im Boden verraten Hyazinth, daß die Anordnung der
Glasscheiben anscheinend beliebig verändert werden kann. Unwillkürlich beschließt
er, sich die Strecke zum Zimmer des Exarchen fest einzuprägen. Es ist nur die sportliche Herausforderung, was ihn
daran reizt, nichts weiter. Er gilt als hervorragender Geo-Spieler und ist vor
allem auch wegen seines räumlichen Gedächtnisses bei allen Gegnern gefürchtet.
Wenn die Hatz über die Erdkugel beginnt, weiß Hyazinth schon unabhängig von der
Jahreszahl ein Dutzend schneller Routen, um dem auf der anderen Hemisphäre
Gestarteten den Weg abzuschneiden, und oft genug entschied er das Spiel schon
vor Erreichen des gegnerischen Startortes für sich, indem er den Konkurrenten
innerhalb von dessen Teilsphäre erwischte. Nur einmal verlor er bisher. Der
Zufallsgenerator hatte als Spielzeit ein Jahr im Oberperm gewählt, und als
Hyazinth durch die intellektronische Simulation einer 245 Millionen Jahre alten
Welt stolperte, sich von einem anderthalb Meter langen Proterosaurus in die
lauranischen Sümpfe treiben ließ, da hatte Narziß sich längst aus den Häuten
unzähliger erlegter Tiere ein Luftschiff gebaut und Gondwana verlassen. Damals
– es war eins seiner ersten Geo-Spiele – war Hyazinth noch zutiefst betroffen,
als er nach fast einem Jahr Spielzeit die Simulation in der Perzeptorzelle
verließ und feststellen mußte, daß in
der Realzeit nur wenige Minuten vergangen waren. Obwohl er wochenlang von
seinen Erlebnissen auf dem Weg nach Gondwana hätte erzählen können…
… dritte links, gleich rechts,
dann bis sechste rechts und zweimal links … Er registriert aufmerksam den Weg,
ohne sich nach dem Sinn dieses rätselhaften Irrgartens zu fragen. Unbewußt
nimmt er wahr, wie es im Gesicht des rechts von ihm gehenden Protektors
unaufhörlich zuckt, als kämpfe der Mann gegen einen zunehmenden Schmerz an,
doch schenkt Hyazinth dem keine weitere Beachtung. Mit jedem Schritt nähert er
sich dem Lebensziel eines jeden Märtyrers: Einmal von Angesicht zu Angesicht
dem Ersten Exarchen gegenüber zu stehen, der wiederauferstandenen Weisheit des
Meisters Kong Qiu zu begegnen, dem Manne, dessen Liebe die Menschheit wie mit
Milliarden Armen umfängt, der als erster bereit war, für die Unsterblichkeit
der anderen das Hohe Opfer der Sterblichkeit darzubringen. Auch wenn ein
kleiner, unbedeutender Märtyrerschüler wie Hyazinth den offenbar tief in der
Lehre verborgenen Sinn dieses entsetzlichen Opfers nicht begreifen kann...
Dieses Nichtbegreifen, Nichtverstehen - das demütigt Hyazinth in einer so
schmerzvollen Weise, daß der Schmerz gelegentlich weit größer ist als die
unbeschreibliche Angst vor dem Omegatag.
Wieder einmal spürt Hyazinth, wie
wichtig es ist, den Geist unentwegt zu beschäftigen, und wenn er sich nur den
Weg durch ein geheimnisvolles, gläsernes Labyrinth einprägen muß. So bleibt
kein Raum für unnütze, widersinnige Gedanken, und das Denken kehrt mit Macht zu
den wesentlichen Dingen zurück. Eine alles beherrschende, beinahe glückliche
Ruhe kommt über ihn. Weshalb sollte er sich ängstigen. Alles soll so geschehen
wie Korund Stein es in seiner unendlichen Weisheit und Güte beschließen wird.
Und sollte der Ratschluß Hyazinth auch unergründlich scheinen – es wird immer
zum Besten der gesamten DTEA sein, und diese Gewißheit gibt ihm Kraft und
Gelassenheit.
Ein wilder Schrei stört seine
Überlegungen. Der Mann rechts neben ihm springt in
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