Copyworld: Roman (German Edition)
Magengegend. Wenn Korund Stein ihm
einen Kurier entgegenschickt, muß es sich um etwas sehr Wichtiges handeln.
Als Hyazinth die Labyrinthbahn im
Untergeschoß des Kegelturms verläßt und sich durch das Leibergewühl zum Eingang
Delta vorarbeitet, hält er nach dem schwarzen Stirnband mit dem Katzenauge
Ausschau. Der Chrysoberyll mit der hellen Lichtlinie ist als Triangel
geschliffen, einen stilisierten Pfeil darstellend, das Symbol der Kuriere.
Insgeheim hat Hyazinth mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, in den
Kurierdienst einzutreten. Fortwährend trifft man interessante Leute, und die
für gewöhnliche Märtyrer schier unüberwindbare Stadtgrenze Weltensteins ist für
Kuriere nicht mehr als eine Linie auf der Landkarte – vor allem aber dieses
todschicke Stirnband hat Hyazinths Sehnsucht entfacht, dieser prächtige Stein,
der wie ein drittes Auge auf der Stirn flammt. Opal hatte seinen zaghaft
vorgebrachten Wunsch lächelnd akzeptiert und gemeint, der Kurierdienst sei ein
hervorragendes Sprungbrett für Leute, die es nach Sesseln weit über den Wolken
gelüste. Als Hyazinth ihn ziemlich verständnislos anblickte, erläuterte er: Ein
guter Kurier kenne alle Großen dieser Welt und ihre Geheimnisse. Früher sei
solcherart Kenntnis oft lebensgefährlich gewesen, heute biete sie die beste
Gewähr für einen steilen Aufstieg. Viele bekannte Leute aus Korund Steins
engster Umgebung seien ehemalige, langgediente Kuriere.
Als Hyazinth aber vom Projekt
Copyworld erfuhr, war der Kurierdienst
sogleich vergessen. Was ist das schon, für andere durch die Gegend zu hetzen,
pausenlos, ohne je wirklich Ruhe zu finden, hatte er sich gesagt und konnte
kaum noch verstehen, ernsthaft an diesen Beruf gedacht zu haben. Welten
erfinden, konstruieren, schaffen – das ist eines Mannes würdig!
Doch kaum hat er das funkelnde
Katzenauge auf dem schwarzen Samt des Stirnbandes entdeckt, durchglüht ihn noch
ein letztes kurzes Mal die Sehnsucht nach fernen Städten und Menschen und nach
dem herrlichen Chrysoberyll auf der Stirn. Der Kurier steht gelangweilt neben
dem Einstieg Delta, auf seiner Brust leuchtet eine Displayfolie: “Hyazinth
Blume” – die Schriftzeichen flackern in hastigem, auffälligem Rhythmus. Die
Frau hat ein längliches Gesicht mit einer Nase, deren Länge Hyazinth nicht
wenig erstaunt: Sie teilt das Gesicht förmlich in zwei Hälften. Überhaupt ist
die ganze Frau irgendwie länglich.
Sie sollte die Haare nicht offen
tragen, denkt Hyazinth, als Wirbelsturm frisiert sähe sie entschieden besser
aus.
Was ihn jedoch sofort fasziniert,
sind die nußbraunen Augen, die in der vorgetäuschten Miene tödlicher Langeweile
heimlich hin und her zucken als springe ihr Blick wie ein Eichhörnchen von Ast
zu Ast. Er muß sogleich an Jade denken, und obwohl die Frau in der
Kurieruniform kaum Ähnlichkeit mit ihr hat, fühlt er eine eigenartige
Unsicherheit in sich, weiß für Sekunden nicht, wie er sie ansprechen soll.
Dicht vor ihr bleibt er stehen, räuspert sich und zeigt linkisch auf die
Leuchtschrift über ihrer Brust.
“Das bin ich.”
Die Frau sieht ihn spöttisch an,
ihr Blick wandert von seinen Fußspitzen bis zu seinen Augen und fällt dann auf
seinen ausgestreckten Zeigefinger.
“Sieh einer an”, antwortet sie
mit etwas näselnder Stimme, “und ich war achtundzwanzig Jahre lang davon
überzeugt, das wäre ich…” Darauf stößt sie seine Hand lässig zur Seite und
betastet ungeniert den Zirkon auf seiner Brust.
“Gut gemacht, Jungchen. Korund
liebt solche geistvollen Anspielungen.”
Hyazinth weiß damit nichts
anzufangen, und das verwirrt ihn noch mehr. Ihre Augen halten es nur wenige
Sekunden aus, starr auf den leuchtenden Stein gerichtet zu sein, dann huschen
sie wieder hungrig über sein Gesicht, seinen Körper, und ihm ist dabei, als
schnitte dieser aufdringliche Blick breite Streifen aus seinem Trikot und der
darunter liegenden nackten Haut.
“Komm, Wunderknäblein, Korund
haßt es, warten zu müssen.” Sie weist auf den Einstieg, ohne die Augen von ihm
zu wenden. Ihr eben noch qualvolle Langeweile heuchelnder Blick, hinter dem sie
recht ungeschickt ihre rastlose Neugier verbarg, wie Hyazinth gleich
aufgefallen war, erforscht nun unverhohlen jeden Quadratzentimeter Körper des
jungen Zöglings.
“Du bist also Hyazinth”, stellt sie
lakonisch fest. Hyazinth antwortet giftig: “Seit exakt zwanzig Jahren. Ich
bewundere deinen Scharfsinn.”
Ihr Blick verharrt wieder auf dem
gelben
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