Copyworld: Roman (German Edition)
Schaum, nichts als Schaum.
Die dauerhafte große Idee haben
wir zu Abermillionen unbedeutender Ideechen zersplittert, die unablässig auf
uns herabregnen und in ihrer erschreckenden Eintönigkeit nur noch Langeweile
erzeugen, Langeweile, Langeweile und nichts weiter…”
Zorn klingt in den Worten des
Ersten Exarchen. Dann flüstert er
bitter: “So herrscht der weise / das herz leeren, den bauch füllen / stärken
die knochen / schwächen den willen.”
Sofort erkennt Hyazinth die Worte
des fremden Meisters, und er muß sich bezähmen, um sich nicht zu verraten, denn
ein Gedanke keimt mächtig in ihm: Wenn auch der Erste Exarch die Lehre jenes Laudse kennt, deren Worte
sogar ohne Scheu zu seinen eigenen macht – ist dann nicht auch er selbst auf
dem rechten Wege?
“Nun aber werden wir diesen
gordischen Knoten mit einem einzigen Hieb zerschlagen. Ein alles
überstrahlendes, mächtiges Idol wird das wimmelnde Ungeziefer, diesen
wuchernden Schimmelpilz aus Primitivität und Eitelkeit mit eisernem Fuß in den
Staub treten. Du wirst dieser Held sein, Hyazinth. Wie mein rechter Arm wirst
du sein und diese liberalistische Subkultur, die wie Unkraut auf unseren Äckern
sprießt, erbarmungslos zerschmettern. Alles wird sich nur noch um den Sigmatanz
drehen und um den großen Gott dieser Kunst. Die Menschen werden Nachricht haben
wollen, was ihr Gott zum Frühstück speist, ob der blaue Fleck an seiner Wade
endlich verheilt ist und welche Trikotfarbe er für den Abend bevorzugt - und
sie werden die Sorge um die Zukunft endlich denen überlassen, denen sie
gebührt: uns.”
Der Erste Exarch starrt konzentriert auf einen für Hyazinth
unsichtbaren Bildschirm, dessen Flimmern farbige Reflexe über Korund Steins
Antlitz huschen läßt.
“Warum gerade Sigmatanz, willst
du wissen?”
Hyazinth zuckt zusammen. Exakt
diese Frage wollte er gerade aussprechen! Woher weiß der Exarch nur, was in meinem Kopf vorgeht? Diese
Fähigkeit des Ehrenmärtyrers wird ihm immer unheimlicher.
“Stell dich nicht so an, du weißt
genau, woher ich deine Gedanken kenne. Du willst es nur nicht wahrhaben, weil
immer noch Zweifel in dir sind…” Immer noch leuchten die Lichtreflexe in
Korunds Gesicht.
Hyazinth bekommt einen trockenen
Hals. Natürlich, ganz tief in seinem Innern war da eine Ahnung, die er schnell
wieder verdrängte, weil sie ihm zu ungeheuerlich vorkam: Der Wächter!
“Ganz recht, der Wächter”, sagt
Korund gelassen. “Komm her, sieh es dir an.” Er winkt Hyazinth zu sich.
Auf dem Bildschirm erkennt
Hyazinth ein chaotisches Gewirr von Wortfetzen, zusammenhanglos und wie von
einem Sturmwind aufgewirbelt. Das exakte Bild der Vorgänge in meinem Gehirn,
denkt er und liest im selben Augenblick: Das exakte Abbild der Vorgänge in
meinem Gehirn.
“Aber das… das ist doch…”
stammelt er fassungslos, und der Bildschirm zeigt mitleidslos die in Schweigen
gehüllte Vollendung des Gedankens: … ein Verbrechen!
Hyazinth prallt entsetzt zurück
und meint, der Kopf müsse ihm zerspringen: Jetzt ist es um ihn geschehen – wie
kann er sich erdreisten, dem Exarchen verbrecherisches Handeln zu unterstellen!
“Du dummer, kleiner Junge.” Die
Stimme Korund Steins klingt fast zärtlich. Hyazinth spürt, wie ihm der
Exarch einen Arm um die Schultern legt.
“Meinst du denn immer noch, was
für gewöhnliche Bürger gilt , dem sei auch der Erste Exarch unterworfen? Wäge selbst ab, was hat mehr
Gewicht: Mystizistisches Gefasel von der Unverletzlichkeit der Gedankensphäre –
oder die Realisierung des Projekts Copyworld ? Beryll wird dir nachher
erklären, wie wichtig die Gesundheitswache vor allem für das Projekt ist, aber
du wirst dir denken können, welch unvorstellbaren Vorteil und Zeitgewinn uns die
Möglichkeit bietet, direkt die Wünsche und Sorgen, Freuden und Träume der
gepeinigten Menschen kennenzulernen.”
“Ich gehöre doch nicht zu den
Gepeinigten”, wirft Hyazinth zaghaft ein, und der Exarch antwortet mit leisem Unwillen: “Beryll wird
dir alles erklären. Außerdem, wer zu uns gehört, braucht so etwas nicht zu
fürchten, oder? Nun zu der Frage, warum gerade Sigmatanz…” Korund schaltet den
Bildschirm ab, über den kurz vor dem endgültigen Erlöschen die Kennung “GW-SS”
blitzt.
In Hyazinth ist ein Brausen wie
von tausend Winden, einem wilden Strudel gleich tost es durch seinen Verstand,
nimmt ihm die Fähigkeit zu klarem Denken. Jetzt erst wird ihm endgültig
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