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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Korund wiederholt nur
leise: “Er gehört dir. Ein halbes Menschenleben wartet dieses Kleinod auf einen
würdigen Besitzer, nun endlich seid ihr euch begegnet…”
    In Hyazinths Schädel beginnt es
zu brummen und zu dröhnen, er begreift überhaupt nichts mehr, spürt nur noch,
wie sein Verstand in seltsame Leere davontreibt.
    Korund spricht weiter, ruhig und
eindringlich. “Wir müssen uns auf die Kunst besinnen, mit den Dingen so zu
verfahren wie mit einem solchen Edelstein: Nicht allem und jedem nur die eine
Geometrie aufzwingen und dabei das kostbarste Geschenk vielleicht einmaliger
Schöpfung blind zu zerstören, sondern das Wesen der Dinge suchen, es behutsam
zutage fördern und den Sinn seines Seins und Wirkens ergründen. Unsere ganze
Kultur aber hat sich in eine andere Richtung entwickelt. Wir schneidern
unentwegt Zwangsjacken, in die wir alles schnüren, was das Universum uns großzügig
schenkt. Wahrscheinlich sollten wir die Gaben des Lebens nur als geborgt
betrachten, dann sind wir zur Sorgfalt im Umgang mit ihnen wohl eher imstande…
vielleicht sind es wirklich nur Leihgaben, wer weiß das schon…
    Zum eigentlichen Thema: Deine
Aufgabe ist sehr schwer. Du sollst uns helfen, mit einem Hieb zu zerschlagen,
was unseren Händen entglitt und wie ein Geschwür zu wuchern begann. Unsere
Kunstszene ist ein einziges solches Geschwür. Wie kam es dazu? Nun, die Absicht
war edel und einfach: Es galt, die von grausamen Leiden geplagten Menschen –
gleich ob es sich um körperliche oder geistige Verkrüppelungen handelt –
pausenlos abzulenken, nicht zum Grübeln kommen zu lassen. Nur eines durfte ihr
Denken beherrschen: Die Lehre von der Großen Umkehr, die Idee von der
Weltenschöpfung, der Eingang in eine selbstgewählte Existenz im Projekt
Copyworld , die Unsterblichkeit im vollkommenen Glück, die Digitalisierung.
    Also galt es, Massensterilisation
als erstrebenswertes Ideal zu propagieren, damit die Anzahl der Gequälten auf
einen genau definierten Wert fixiert werden konnte. Es galt, den Menschen
bewußt zu machen, daß die Rechtswürdigkeit erst im Alter von dreißig Jahren
verliehen werden darf, weil erst ein völlig ausgereifter Charakter fähig ist,
eine ganze Welt für seine individuelle Unsterblichkeit zu konzipieren. Und vor
allem galt es, den bedauernswerten Kranken an Leib und Verstand das Axiom zu
geben, daß nur bedingungsloses Vertrauen in uns Märtyrer – die wir uns für das
Wohl der Menschheit aufopfern – und unerschütterlicher Glaube an die
historische Mission des Martyriums Unterpfand des Gelingens unseres großartigen
Vorhabens sind. Anfangs gelang es uns vorzüglich, unsere Ideale mittels der
Künste in die Gehirne der Menschen zu transportieren. Aber schon bald trat ein
lästiger Nebeneffekt auf. Durch unentwegtes Wiederholen des Leitmotivs
verflachte die künstlerische Umsetzung. Es war, als wollte man Malern befehlen,
eine Kugel zu gestalten. Die erste Zeit waren es perfekte Kugeln, allmählich
gerieten die farblichen Variationen zum Selbstzweck, es bildeten sich Lager von
Grünen, Roten, Schwarzen – alle bekämpften sich erbittert. Dann wurde die Form
aufgehoben; die Kubisten behaupteten, die Form des Würfels induziere den
antagonistischen Gedanken der Kugel, die Mystiker betrachteten die Kugel als
Symbol der Endlichkeit und malten nur noch Szenen der Vergänglichkeit, bei den
Hyperrealisten gewann die Oberfläche der Kugel als Struktur Geltung, die
Atomisten und Elementarästheten schließlich malten wild drauf los, weil ihrer
Ansicht nach das Grundelement des Punktes die einzig absolut reine Form der
Kugel und allem zugrunde gelegt sei. Niemand wußte mehr zu sagen, daß die Kugel
vor allem ein gleichmäßig runder Körper ist… So zerrann die Idee von der Kugel
zu einer Flut von Nebensächlichem, Oberflächlichem, Mißverstandenem. Zwar
gelang es immer noch, jedem Individuum eine Identifikationsmöglichkeit, eine
Alternative zu bieten – aber mit dem ursprünglichen Ziel hatte das nicht mehr
viel zu tun. Dieses erstickte in kurzlebiger, mehr und mehr eines Inhalts
entbehrender Vielfalt. Zwar gab es noch Meister der Kugel. Aber niemand wollte
sie hören oder sehen.
    Farbige Perlenschnüre galten den
Menschen mehr als eine geistvolle Betrachtung über das Wesen der
Kugelgeometrie. Schillernde Seifenblasen wurden bestaunt, mehr als staunen kann
man ja auch nicht beim Anblick dieser bunten Pracht, die in Nichts zerstiebt,
bevor der Geist sich überhaupt regen kann.

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