Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
Vom Netzwerk:
Schwächen, die dir wie treue Hunde bis ins Grab
folgen. Du sollst lernen zu lachen über die Fähigkeit der Selbsterkenntnis, die
dich unerreichbar über all jene erhebt, die ohne Hoffnung auf Erfolg ihrem Ich
hinterherjagen, weil sie nicht den Zynismus aufbringen, eigener Fehlbarkeit zu
spotten. Gerade weil du nicht geformt bist durch mich, wird die Macht in deinen
Händen ungestüm wuchern. Und du wirst sie mir zurückgeben, denn sie wird auch
dich selbst überwuchern.”
    Triumph klang aus den letzten
Worten. Hyazinth nimmt es nur verschwommen wahr, seine Gedanken poltern
durcheinander wie die Steine in einem Bergrutsch, fließen hinab, in ein fernes,
dunkles Tal, und nur einer bleibt haften in der Flanke des Gipfels: Das wollte
ich nie!
    Wie oft hat er mit Holunder
darüber diskutiert, der ihm immerzu sorgsam ausgewählte und recht eigenwillig
interpretierte Thesen des Meisters entgegenhielt, wenn es um die Frage ging, ob
Macht ein Recht oder eine Pflicht sei. Unzählige Male hat er dem Freund
erklärt, daß Macht nicht der Gebrauch, sondern der Mißbrauch von Fähigkeit ist,
daß der Begriff des Mächtigen nur sinnvoll ist, um Verhältnisse ohne Vertrauen
und Pflichtbewußtsein zu beschreiben; und ohne daß er es verhindern kann,
bricht der Protest aus ihm: “Macht ist ein Wort, das die Gelüste von Dummköpfen
und Häßlichen beschreibt, von Untalentierten und geborenen Prügelknaben, von
Faulpelzen oder Egoisten…”
    Es sprudelt aus ihm, ohne daß er
imstande ist, das fatale Leck unverzüglich zu stopfen. “… Macht ist die
Sehnsucht des Schlechten nach Besserung seiner Mängel, ohne Preisgabe seiner
Schlechtigkeit, Macht ist die schärfste Waffe des Bösen, mit der es erbittert
die alles bezwingende Kraft des Guten bekämpft, Macht ist eine Gewalt unserer
animalischen Herkunft, ein Anachronismus, ein Relikt, ein aus dem menschlichen
Gedächtnis endgültig zu bannender Artefakt barbarischer Vergangenheit, Macht
ist die stete Beleidigung menschlicher Würde, Macht ist der tödliche Bazillus
für kreativen Humanismus – und wenn wir ihn nicht rigoros ausrotten, so wird er
uns unerbittlich vernichten, und die wenigen Jahrtausende menschlicher
Zivilisation werden die Geschichte eines vergeblichen Versuchs der Materie
sein, dem Gesetz des Vergehens mit der Kraft des Werdens zu begegnen…”
    Ähnlich hat er es irgendwann
einmal Holunder gesagt. Wo ihm aber bewußt wird, diese kühne Rede dem ersten Mann
der DTEA gehalten zu haben, da erschrickt er bis in die letzte Faser seiner
sterblichen Hülle und duckt sich demütig in Erwartung eines rasenden Orkans von
Wut.
    Korund Stein fährt auch heftig
auf, springt herum wie ein Juradokämpfer, und soviel Kraft ist in dieser Geste,
daß Hyazinth für Sekundenbruchteile den Exarchen so vor sich sieht, wie die
offiziellen Holografien des Öffentlichkeitsorgans der Hohen Exarchie ihn
darstellen. Sogleich aber strafft sich Korund Stein aus der angespannten
Haltung des Angegriffenen zu der nachlässiger Souveränität. Er lächelt sogar,
wieder nur mit den Augen. Dann sagt er seltsam heiter: “Recht hast du, mein
Junge. Zumindest mit der Hälfte des Gesagten, und das ist mehr als manch ein
würdiger Altmärtyrer für sich beanspruchen kann. Auch ich war kein Frauenheld,
ebensowenig Klassenprimus, und in Sport gar einer der schlimmsten Tölpel… Oft
genug habe ich Prügel bezogen, weil mir die Mittel zur Gegenwehr fehlten, und
das hat gewiß die Ausprägung äußerst unangenehmer Charaktereigenschaften
begünstigt. Oh, wenn du wüßtest! Meine Rache war nicht etwa Petzerei - nicht
doch, ich habe es etwas raffinierter gemacht. Meine Spezialität war, Untaten
einzufädeln und von meinen ärgsten Feinden begehen zu lassen. Das tat ich ein
dutzend Mal oder mehr. Und dann fädelte ich irgendwann so, daß sie in die Falle
laufen mußten. Sie haben nie erfahren, daß alles mein großartiger Plan war…
    Ich gebe zu, eine Weile bereitete
mir diese Art der Herrschaft immenses Vergnügen. Aber allmählich wurde es langweilig,
Phantasie für solch primitive Regungen zu verschwenden. Mit jeder Quellstufe
begann es von vorn. Ich wurde verprügelt, weil jedermann wußte, daß ich nicht
zum Kindschafter laufe, um mich auszuheulen. Damit gewann ich mir zwar ein
gewisses Minimum an Achtung, aber dieses Minimum hatte keinerlei praktischen
Wert. Dafür begann ich, mit jedem hingenommenen Schlag meine Feinde zu
studieren. Natürlich habe ich mich verteidigt, getreten, gebissen, gekratzt

Weitere Kostenlose Bücher