Copyworld: Roman (German Edition)
behauptetet, um
eine fest in den Mittelpunkt der göttlichen Ordnung gerammte Insel. Nein, das
konnte nicht sein, hatte er der Muhme gesagt, daß die Himmel der Götter um die
Welt der Menschen kreisen – es müsse doch eher so sein, daß die Schöpfung
Ealtheas in Bewegung sei, angetrieben von der ihr innewohnenden göttlichen
Kraft.
Aja hatte irgendetwas gemurmelt, verdrossen
und besserwisserisch. Aber am Abend dieses Tages hatte sie halb im Scherz, halb
ernsthaft gesagt, er solle nicht so oft an diese Dinge denken, sonst könnte es
passieren, daß Ealthea Gefallen fände an seinem wachen Geist und ihn lange vor
der Zeit zu sich holte, um mit Derek eine völlig neue, noch kompliziertere Welt
zu erschaffen. Er hatte nur gelacht.
Als Aja in steifen Schritten
einen weiten Boden um das Pendel tanzte, standen er und Damma in atemlosem
Schweigen. Die Ahne bog und drehte sich in merkwürdigen Figuren. Schien
plötzlich über dem mit Amethystplatten belegten Boden zu schweben. Stolzierte
dann wieder steif und hölzern durch den Saal. Ein leises Knarren kam aus der
Kuppel, wie verhaltenes Stöhnen. Derek schaute nach oben, aber dort war nichts
zu sehen. Nur das gewaltige Gelenk, mit dem das Pendel in der Kuppeldecke
verankert ist. Auf einmal huschte Aja unter dem Pendel hindurch. Derek stockte
der Herzschlag – fast hätte der Block aus Silber den Kopf der Ahne getroffen.
Im selben Augenblick hörte er wieder dieses Knarren, und jetzt sah er es: Der
Balken des Pendels vibrierte leise. Ajas Tanz wurde langsamer – ächzend verlangsamte das Pendel seinen
Schlag. Es war nicht so, daß der Ausschlag des Balkens kleiner wurde, nein: Es
wurde einfach nur langsamer. Das Rauschen der Luft klang nun wie die Atemzüge
eines schlafenden Riesen.
Schließlich stand das Pendel,
verharrte in einer schier unmöglichen Position: in einem der beiden äußersten
Punkte seiner Bahn. Totenstill war es im Kuppelsaal, als Aja sagte: “Und nun,
Tochter der Thar, überlege genau, welchen Augenblick der Zukunft du schauen
willst. Es wird nur dieser eine sein, mehr ist dir nicht gestattet. Bedenke: Du
siehst ihn nur so wie das große Wandbild im Malachitsaal…”
Deshalb waren sie gekommen. Nur
einen Lidschlag Zukunft wollte Damma sehen.
“Zeigt mir den Augenblick, in dem
Roriks Banden die Grenze unseres Reiches überschreiten!” forderte sie. “Zeigt
mir den Königlichen Großhafen in eben jener Sekunde!”
“Gut gewählt, Tochter der Thar!”
frohlockte Aja. Derek allerdings wußte nichts anzufangen mit diesem
rätselhaften Begehren. Er hätte sich den Ort zeigen lassen, an welchem Rorik
seinen Fuß auf Tsalla setzt!
Aja begann einen neuen Tanz.
Schwarze Wolken wallten auf, verdunkelten die beiden Fackeln neben dem Portal,
bis es stockdunkle Nacht war im Pendelsaal. Nur das Rascheln von Ajas altem,
zerfransten Kleid war zu hören. Dann glomm ein fahles Licht in der Kuppel auf, senkte
sich herab, nahm Konturen an. Das Bild einer Hafenlandschaft erschien in
kalkigen Farben. Neben ihm rührte sich Damma, sie sprang zwei, drei Schritte
vor und wies mit ausgestrecktem Arm mitten in die Vision. Derek sah nichts
Bemerkenswertes, nichts, was Grund hätte sein können, Ealtheas Pendel
anzuhalten. Ohnehin hatte es ihn verwundert, geradezu befremdet, daß Aja diesem
Ansinnen der Tharprinzessin so ohne weiteres Folge leistete. Jetzt stand Damma
da mit erhobenem Zeigefinger und stieß einen triumphierenden Schrei aus. Auch
Atta, das junge Hollweibchen, fiepte zart und streckte sich in seinen Armen.
Der starre Blick der grünen Augen war auf ihn gerichtet, ein feines Lächeln
leuchtet in dem winzigen Menschengesicht. Und da sah er es. Nicht in den kalkigen
Schatten des starren, leblosen Bildes unter der Kuppel, das Aja aus der Zukunft
herbei gezaubert hatte – er sah es in Attas grünen Augen: Den Turm über der
Hafeneinfahrt. Zwölf verschiedenfarbige Flaggen flatterten auf seinen Zinnen,
und der eiserne Stab einer weithin sichtbaren Sonnenuhrwarf seinen Schatten auf
die Skala. Die Kalenderflaggen zeigten durch ihre Position am Mast Jahr und
Tag, die Sonnenuhr die Stunde…
Damma hatte wirklich klug
gewählt. In diesem Moment begriff er es. Was nutzte ihr das Wissen um den Ort,
wenn der Zeitpunkt nicht bekannt war. Kenntnis der genauen Stunde aber
ermöglichte, alle Kräfte der Späher und Spione Tage zuvor zu vervielfachen und
so auch die Richtung zu erkunden, aus der der Angriff erfolgen würde. Die Thar
konnten ihre Flugwerke hoch in
Weitere Kostenlose Bücher