Copyworld: Roman (German Edition)
Frau im Wege
stehen. Rutilas etwas breites Gesicht ist von verblüffender Anmut, scheint gar
nicht recht zum athletischen Körper zu passen – stellt Hyazinth mit einer
geheimnisvollen Angst fest. Die zarten Schwünge ihrer Augenbrauen überspannen
Augen, in denen ein tiefes, rätselhaftes Grün glüht, das aus der Tiefe ihrer
Gedanken zu leuchten scheint. Die gerade, eher etwas zu lange Nase, endet in
zwei ewig bebenden Flügeln, als schnuppere Rutila immerzu irgendwelchen
exotischen Düften nach – aber dieser Eindruck wird eher dadurch erweckt, daß
sie zu ungeschickt im Drehen von Filterstopfen ist, die mal zu klein, ein
anderes Mal wieder zu lang geraten und so andauernd verrutschen oder lästigen
Druck verursachen. Die volle Oberlippe wirkt, als habe Rutila den Mund wie zum
Pfiff gespitzt und bildet mit der etwas feineren Unterlippe ein rosa Oval, dessen
feuchter Glanz in Hyazinth plötzlich ein tiefes Bedürfnis nach Zärtlichkeit
weckt.
Auch Rutila ist blond – wie
Holunder – aber die Farbe ihres in verwirrenden Schlingen und Wellen den Kopf
umfließenden Haars ist schwerer, von mattem Patinaglanz. Über der Stirn schießt
es wie eine Kaskade empor, vielleicht rührt daher der Ausdruck von Strenge.
Erst als Hyazinth die kleinen Schweißperlen
unter Rutilas Haaransatz entdeckt, wird ihm bewußt, daß die Sonne gestiegen ist
und die ersten Boten ihrer mörderischen Glut in Gestalt heißer Böen durch
Villafleur wehen. In ein, zwei Stunden wird man sich ohne hitzeabweisendes
Vollkörpertrikot nicht mehr ins Freie wagen können, dann knistert es in der
Luft wie Feuerbrand. Er sieht, wie die Farben der Bauwerke allmählich
verblassen, als welkten sie im Gluthauch des jungen Tages, und wie aus dem
alles überdeckenden Grau ein silbriger Glanz wächst als seien die Gebäude der
Zentralstadt aus stumpfem Blei, das in der Hitze schmelzend zu glänzen beginnt.
Um die Mittagszeit dann sind die Reflektorpigmente in den Wänden der Wohnblasen
und Turmbauten voll aktiviert: Alles wird glänzen und strahlen wie aus reinem
Silber. Draußen darf man sich zu dieser Stunde auch im Vollkörpertrikot nicht
mehr aufhalten.
Hyazinth kennt es nicht anders und kann sich
auch nicht vorstellen, daß das Klima auf der Erde einst so bizarre Dinge wie
gefrorenens Wasser zuließ, das in Klümpchen oder Kristallen sogar vom Himmel
gefallen sein soll.
“Vergiß Jade. Versprichst du es
mir?” In Rutilas Augen ist ein seltsamer Glanz, als hätte sie soeben eine
erstaunliche, aufregende Entdeckung gemacht. Und auch in ihrer Stimme war so
etwas wie Staunen, das so gar nicht zu der Frage passen will – wie ein Beben.
Hyazinth nickt stumm. Tatsächlich fühlt er sich wieder wohler, möglicherweise
liegt es aber eher daran, daß Jade und Beryll in einem Ipop verschwunden sind,
als an Rutilas mitfühlender Geste.
“Was hast du denn da gekauft?”
fragt Holunder – sichtlich desinteressiert, aber offenbar mit dem Wunsch, der
Situation eine Wende zum Alltäglichen zu verleihen. Aus seinem Blick sprühte
nicht gerade die pure Begeisterung, als Rutila und Hyazinth einander stumm in
die Augen sahen.
Hyazinth reißt die
Verpackungsfolie von der Displayscheibe und wirft sie in einen Sauger. Alle paar
Schritte gähnt einer dieser Trichter des globalen Rückgewinnungssystems, ob auf
den Straßen und Plätzen oder in den öffentlichen Gebäuden - ein Überbleibsel
aus ferner Vergangenheit. Zwar enthält die Atmosphäre eine ganze Reihe von
Verbindungen – wie Halogene, Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle, Nitrate,
Freone und Stickoxide, Schwefelsäure und vor allem reichlich Kohlenstoff – in
gasförmigem, flüssigem und sogar festem, pulverisiertem Zustand, und diese
Bestandteile reichen völlig für die Keimperlen. Aber einige sehr wichtige
Rohstoffe lassen sich nur noch recyceln oder aus antiken Mülldeponien gewinnen.
Trotz der hochentwickelten Silikattechnologien braucht man eben Buntmetalle und
Seltene Erden. Die sogenannten Endlagerstätten verschlissener Elektronik, die
in der Neokybernetischen Ära dank des hohen Entwicklungstempos zu riesigen
Halden anwuchsen, waren lange Zeit wahre Goldgruben. Jetzt kann Stabilität nur
noch durch die Anwendung geschlossener Kreisläufe gewährleistet werden, denn
alles, was darüber hinaus produziert wird, verschlingt das Projekt Copyworld.
Opal hat einst von einem kühnen Vorhaben
berichtet: Der Erste Projektant soll vorgeschlagen haben, die Rote Wolke – in
der sich nach
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