Copyworld: Roman (German Edition)
Hyazinth
gegrübelt, ob dieser Schmerz in seinem Innersten ein wenig dem gleicht, was vor
Urzeiten Liebe genannt wurde – aber in den Schriften des Meisters Kong Qiu wird
von Liebe immer nur von einer Sache geredet, die Kinder und Eltern verbindet,
Edle mit ihrem Volk, Märtyrer mit der Lehre…
Es muß wohl so sein wie es der
Meister sagt, denn stärker als die nächtliche Einsamkeit schmerzt die Stille am
Tage. Schlafen kann man mit jeder Frau. Aber zusammen erleben, mit wenigen
Sätzen Gedanken so groß wie der Kosmos tauschen, mit den Augen des anderen
sehen und auf den Lippen die Worte des anderen schmecken – das geht nur mit
entsetzlich wenigen Weibern, und diese Art Liebe ähnelt in gewisser Weise der,
die ihn mit seinem Lehrer Opal Stein verbindet.
Und doch ist es ganz anders…
Unbewußt seufzt Hyazinth auf. Das
ist Rutila Anlaß, doch zu sprechen.
“Es hat vielleicht gar nichts zu
bedeuten”, beginnt sie, “schließlich muß man ja nicht mit geschlossenen Augen
durch die Welt laufen, nur weil man sich für einen Partner entschieden hat…”
“Was meinst du damit?” Hyazinth fiebert vor Ungeduld.
“Nun… sie wurde in den letzten
Tagen oft mit Beryll gesehen.”
“Mit Beryll Stein, dem
Projektanten?” Hyazinth ist verblüfft. Beryll, einer der Manager des Projektes
Copyworld, ist mindestens zwanzig Jahre älter als Jade! Hyazinth lacht auf.
“Beryll ist als Nachfolger für
den Ersten Exarchen im Gespräch.” Holunders Stimme klingt hart wie Diamant.
“Na und?” entgegnet Hyazinth.
“Es kann nicht schaden, die
Partnerin des zukünftigen Exarchen zu sein”, sagt Holunder verächtlich. Rutila
schweigt. Aber der Blick, mit dem sie Hyazinth mustert, ist rätselhaft.
“Du spinnst!” Hyazinth bemüht
sich um eine gleichgültige Miene.
“Sie ist eine Stein, ebenso wie
Beryll – du hingegen gehörst nur zur Familie Blume”, sagt Holunder mit
Bitterkeit. Böse entgegnet Rutila: “Rede nicht so eine Scheiße! Ich bin auch
eine Stein! Was spielt das für eine Rolle, zu welcher Familie man gehört,
wichtig ist allein die Treue zur Lehre und die Tat für die Große Umkehr!”
“Treue und Tat werden dir nicht
helfen, wenn du bei mir bleibst.” sagt Holunder ruhig. “Du weißt es:
Protektorgeneral kannst du nur werden, wenn du dich für den Rest deines Lebens
von einem Mann aus deiner Familie vögeln läßt.”
“Dann werde ich eben nicht
Protektorgeneral…”
Was soll der ganze Unfug? In
Hyazinth steigt Ärger auf. Wie können sie überhaupt erwägen, der Erste Exarch
verteile die Aufgaben nach Geburt und nicht nach Leistung. Das zehnte
Generalgebot verlangt sein Einschreiten. Behüte deinen Nächten, damit er nicht
abirrt vom Weg der Lehre.
“Ihr habt doch beide nicht alle
Steine in der Mauer!” herrscht er die beiden an. “Nie wird der Erste Exarch den
Fähigen übersehen und einen weniger geeigneten wählen, nur weil er aus anderem
Samen wuchs. Wie wollt ihr…” Er unterbricht sich verwirrt, als Holunder ihm
merkwürdige Zeichen gibt.
Der Lange zieht einen feinen
Draht aus der Brusttasche des Trikots und stochert damit in seinem linken Ohr
herum. Als Hyazinth fragen will, was das zu bedeuten hat, kommt Holunder ihm
zuvor und bedeutet ihm zu schweigen. Endlich grinst er erleichtert und winkt
Rutila zu sich, um auch in ihrem Ohr herumzufummeln. Sie läßt es
widerstandslos, aber mit mißbilligender Miene geschehen. Sie weiß offenbar, was
das ganze zu bedeuten hat.
Dann ist Hyazinth an der Reihe.
Es klappert metallisch in seinem Ohr, er hört ein scharfes Knacken.
“So, das wär’s”, sagt Holunder
befriedigt.
“Was wär’s?” Hyazinth polkt mit
dem kleinen Finger im Ohr, kann aber nichts Ungewöhnliches finden.
“Der Wächter”, antwortet Holunder
sanft. “Ich habe ihn abgeschaltet.”
“Was hast du abgeschaltet?” Mit
einem Male hat Hyazinth wieder dieses Gefühl von drohender Gefahr.
“Suche die Antwort darauf doch
mal in den Generalgeboten”, sagt Holunder bissig. “Hast du dich noch nie
gefragt, warum die jährliche Gesundheitskontrolle nur unter Vollnarkose
vorgenommen wird?” Holunders Adamsapfel zuckt nervös auf und nieder.
Verwirrt schüttelt Hyazinth den
Kopf
“Damit die Batterien
ausgewechselt werden können. Der Wächter ist eine Multifunktionalimplantat, das
gleich nach der Geburt anstelle eines herausgeschnittenen Stücks Schädelknochen
eingesetzt wird. Über den äußeren Gehörgang sind Energieversorgung und
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