Copyworld: Roman (German Edition)
aus dir machen, der würdig ist, neben mir auf Ealtheas Thron zu sitzen.
Ich habe in dir mehr einen Sohn gesehen, als der wankelmütige Curdin, unter
dessen Regentschaft das Reich wie ein Klecks dünner Scheiße auseinanderlief.
Vergiß nicht: Curdin ließ dich die Peitsche schmecken, hat dich erniedrigt,
immer unter seinen Willen gezwungen. Für mich aber warst du nicht der
Brudersohn, sondern Bruder und Sohn – mein Ebenbild! Schau in den Spiegel
deiner Klinge, Derek, schau in das Gesicht, das Ealthea uns beiden gab!”
Hyazinth beobachtete die Szene
mit wachsender Erregung. Was ging dort vor? Beryll mußte wahnsinnig sein, so
massiv in die Schopenhauerwelt eines anderen Menschen einzugreifen! Aber
womöglich war Großherr Derek nur eine Randfigur dieser Copyworld -Realität?
Vielleicht war dies ein vom Schöpfer dieser Welt völlig unbemerkt bleibendes
Geplänkel in einer fernen Provinz? War dies der eigentliche Sinn dieser
makabren Demonstration? Wollte Beryll ihm zeigen, daß eine Schopenhauerwelt
auch außerhalb der Bewußtseinssphäre des Digs real existiert, wenn sie erst
einmal erschaffen ist?
“Ealthea gab mir dein Gesicht zur
stetigen Mahnung für mich, nie und nimmer zu vergessen, daß du an der Stelle
des Herzens einen stinkenden Kadaver in der Brust trägst, Oheim Rorik! Sie gab
mir damit die Kraft, Schein und Trug zu durchschauen, eine Sache nach ihrem
Innern zu befragen – und dein Inneres ist schmutzig und verdorben. Ich werde
die Welt erlösen, die an deinem Schmutz zu ersticken und an deiner Verderbnis
zu verbrennen droht!”
Rorik schaute nur finster drein.
Aber als Derek seine Eldridssense hob, so daß die Strahlen der untergehenden
Sonne wie feuriges Lohen auf der Klinge spiegelten, und als Derek rief: “Nun
stehe mir bei, Urmutter Ealthea, halte dein Pendel an für die Zeit, die der Tod
benötigt, um den Mörder meines Vaters in sein Reich zu holen. Wenn du mir die
Macht gabst, das Kind eines Holls zum Freund zu gewinnen, dann gib mir auch die
Kraft, das Böse zu besiegen!” – da zuckte Rorik zusammen und taumelte zurück.
“Du hast einen Holl gezähmt…”,
flüsterte er erschreckt.
Ein Blitz von Licht und Stahl
sprang aus der Hand des jungen Fürsten.
“Beryll!” schrie Hyazinth
entsetzt auf, als die Spitze des Blitzes auf die Mitte des purpurnen
Brustpanzers zustach. Doch bevor die Eldridssense ihr Ziel erreichte, flackerte
ein zweiter Blitz wie das blaue Feuer einer elektrostatischen Entladung durch
die erstarrte Winterluft.
Beryll explodierte wie ein
Feuerwerkskörper. Funken stoben über den Schnee, die Eldridssense durchschnitt
schwarzen Rauch und flog sirrend weiter – aus den schwarzen Schwaden aber erhob
sich ein Vogel mit purpurnem Gefieder, kreiste zwei oder drei Mal über den
Köpfen der zurückgebliebenen, stieß einen kreischenden Schrei aus und schwang
sich in das bleierne Grau der sich wieder schließenden Wolkendecke.
Bevor Hyazinth einen klaren
Gedanken fassen konnte, stürzte der junge Fürst zu der im Schnee liegenden
Sichelaxt, die Hyazinth vorsorglich weggeworfen hatte, und stand mit einem
zweiten Satz vor Hyazinth. Der drehte sich um, in der Gewißheit, hinter sich
den Eingang zum Flachbau zu haben. Hinter ihm war nur Schnee. Hügel, Bäume,
Hügel und Bäume, alles unter einer dicken Schicht aus Schnee und Eis…
“Fürchte dich nicht, Knecht! Ein
Fürst kämpft nicht mit Wanzen – er erschlägt sie, wenn sie ihn beißen. Sonst
aber sind sie zu gering, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.” Derek keuchte vor
Zorn. Aber er hatte die Waffe nicht zum tödlichen Streich erhoben, sondern
hielt sie wie einen Wanderstab, stützte sich schweratmend auf den Schaft.
“Ich werde nicht beißen, Großherr
Derek”, sagte Hyazinth ängstlich, dabei sah er sich immerzu um, in der
Hoffnung, doch noch den Ausgang aus dieser schrecklichen Welt zu entdecken,
denn entgegen aller Gewißheit, ihm könne hier nichts wirkliches widerfahren,
flößte ihm das barbarische Gehabe des Großherrn Derek Furcht ein.
Im Geospiel hatte er nie Angst
gehabt, dort gab es immer die Havariekontrolle: Auf dem Scheiterhaufen spürte
man nicht die sengende Glut des Feuers, in er Folterkammer nicht die Stiche,
das Würgen und Reißen, und auf dem Schafott war der Schlag des Fallbeils
gleichbedeutend mit einer völlig schmerzlosen Rückkehr in die wirkliche
Wirklichkeit…
Aber hier, in diesem Seemark –
Hyazinth spürte dunkel, daß hier alles anders sein könnte.
“Wie könntest du
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