Copyworld: Roman (German Edition)
eines der
geringeren Probleme.
Proteus schreckt kurz auf, ihm
ist so, als wäre er gerade an einer Konfiguration mit der Kennung G*Null*D vorbeigehuscht. Aber das Häuflein aus Bits
ist längst im Spinnennetz der Lichtleiter verschwunden, als er reaktionsschnell
eine Kolonne von Megasuchern startet. Er weiß längst, daß er G*Null*D nur finden wird, wenn G*Null*D gefunden werden will. Eines Tages wird G*Null*D es nicht mehr aushalten, dessen ist er gewiß.
Es gibt nur zwei echte Digs in Copyworld - sie beide. Und deshalb wird G*Null*D
sich irgendwann zu erkennen geben.
Die Exarchisten glauben, sie
wüßten Bescheid. Sie denken, Digitalisierung sei unmöglich, und deshalb stapeln
diese Idioten die Menschen in Alphabunkern. Sogar diese Revisionisten haben es
nicht herausgefunden. Die sind alle so entsetzlich blöd. Aber Proteus hatte
sich gehütet, der Hohen Exarchie das Geheimnis der echten Digitalisierung
preiszugeben. Stattdessen hat er sie bestärkt in ihrem verbrecherischen
Vorhaben, die Menschheit des ganzen Planeten Erde in eine Art Winterschlaf zu
schicken, ihr aber mit teuflischer Demagogie vorzugaukeln, es handele sich um
den realen Übergang in eine intellektronische Intelligenz. Diese machtgeilen
Arschlöcher von der Exarchie müssen schließlich nicht alles wissen. Und seinen
geheimen Digitalisierungsbunker tief im Schoße der Erde unter der Festung Van
Zyl finden die nie. Nie. Denn dort ist nur noch eine Kaverne aus geschmolzenen
Mineralien, mehr bleibt nach einer unterirdischen Kernexplosion nicht übrig. Er
hatte auf diese radikale Art alle Spuren beseitigt. Und wozu sollte er einer
ausgetrockneten, vom Schimmel zerfressenen Mumie ein unterirdisches Mausoleum
errichten. Dieses wertlose Fossil aus den Jahrzehnten seiner leiblichen Existenz
war völlig entbehrlich, und er trennte sich ohne Wehmut von der zu ewiger Sünde
verdammten Hülle. Nein, nicht eine Zehntelsekunde trauerte er, denn der
Abschied war wie eine Befreiung für ihn. Als öffneten sich seinem wilden,
schäumenden Geist die Tore eines Kerkers. Wie hat er durch die Netze von
Copyworld gebrüllt vor Erlösung, als endlich sicher war: Es ist geglückt, er
ist ein echter Dig! Endlich befreit von diesem lästigen Ballast animalischer
Abkunft, von diesem erbärmlichen Fleisch, der Ursache allen Übels!
Doch hatte er mit dem Austritt
aus dem Fleisch nicht all die Süchte des Körpers ablegen können, seltsam. Und
deshalb gönnt er sich - etwas beschämt - diesen Derek. Solche Spielereien
überbrücken außerdem die lange Wartezeit auf die Von-Neumann-Sonden.
Diese sich selbst
reproduzierenden und unentwegt höherentwickelnden Erkundungsroboter haben die
Idioten aus Weltenstein natürlich längst vergessen - dabei hat das Projekt
Copyworld nur einen Sinn, wenn es sich eines unendlich fernen Tages mit den zurückkehrenden
VN-Sonden vereinen kann. Das werden dann keine einfachen Nanoroboter mehr sein.
Heimkehren wird ein unüberschaubares Heer von hyperintelligenten Geschöpfen,
die das Universum bis an seine Grenzen erforscht und besiedelt haben. Sie
werden nicht das Kainsmal einer Bioevolution tragen, die nur eine Noosphäre
hervorzubringen mag, indem sich ihre verdammten Individuen gegenseitig töten,
einander fressen und immer wieder töten, töten, töten... Die fernen Nachfahren
der VN-Sonden werden sich von reinstem Sonnenlicht ernähren, von
Gravitationsenergie und Neutrinos. Mit einem unermeßlichen Schatz werden sie an
den Ort ihrer Herkunft zurückkehren: mit dem Wissen des ganzen Universums!
Proteus zittert bei diesem
Gedanken vor Erregung. Bei sich nennt er sie Engel, diese Wesen, die dem
Menschen unendlich überlegen sein werden. Engel - und er wird ihr Gott sein!
Aber es wird noch hunderte
Millionen, vieleicht sogar etliche Milliarden Jahre dauern, bis die Engel auf
ihrem Zug durch das Universum wieder das Sonnensystem erreichen. Ein
Sonnensystem mit einem erloschenen Zentralstern und ausgeglühten Planeten, und
ganz tief im Schoß der verkohlten Erde wird er sie erwarten. Und am Ende aller
Zeiten, wenn das Universum wieder in die Singularität stürzt, wird er im
unendlich expandierenden Phasenraum ein neues Universum schaffen, größer,
herrlicher, unbezwingbar. Er - Proteus, er - Gott...
Aber jetzt muß er erst einmal die
Stelle finden, wo so eine beschissene Ratte in seine Systeme gepißt hat.
Irgendwo unterhalb der
siebenundzwanzigtausendsten Subebene blitzt zum zweiten Mal G*Null*D an ihm vorüber.
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