Copyworld: Roman (German Edition)
blauen Augen auf
seinem Gesicht zu spüren, weicht er ihrem Blick nun aus, als könne er erblinden
im hellen Licht ihrer Nähe.
Rhomega hatte einmal gesagt: “Du
kannst nicht begreifen, weshalb wir Szingolder uns in unserer Freizeit nicht
dem Omegaschlaf widmen, warum wir uns
auch vor allem nicht digitalisieren lassen? Stell dir einmal vor, Tauphi würde
achtzehn Stunden am Tag in einer Perzeptorzelle liegen…”
Das Argument hatte Hyazinth lange
beschäftigt. Klar, er würde von Tauphi immer nur träumen können, hätte nicht
die Spur einer Chance, ihr auch nur zu begegnen. Aber träumen – das könnte er
doch auch in Copyworld ! Von Tauphi!
Nein, er hatte diese Idee
sogleich verworfen. Was für ein fader Traum mochte das sein, wenn er sich in
seiner Schopenhauerwelt eine Tauphi erschüfe, die ihm am Halse hinge wie die
glühendheiße Seelenkette der Bunduruki. Verwirrt hatte er sich kurz gefragt,
wie er auf diese seltsamen Wörter Seelenkette der Bunduruki gekommen war. Aber
diese waren nur kurz in seinem Bewußtsein aufgeflackert und verdunsteten wieder
wie Morgentau, bevor er sie richtig fassen konnte...
Er überdachte weiter die
Möglichkeit, Tauphi in einer Schopenhauerwelt zu seiner Geliebten zu machen.
Aber selbst wenn er die Scheinrealität raffinierter programmieren würde, stark
an die Echtzeit angelehnt, mit nur geringfügigen Korrekturen, die ihn letztlich
ans Ziel seiner Sehnsüchte brächten – es wäre Talmi, Surrogat, Selbstbetrug.
Nie zuvor hatte Hyazinth solch quälende Zweifel am Sinn seiner Erziehung,
seines Werdens, seiner Existenz überhaupt in sich bändigen müssen. Ihm ist
klar: Tauphi will er in der Wirklichkeit, nicht als Sklavin seiner Phantasie.
Aber man könnte doch später in eine wunderschöne Schopenhauerwelt gehen.
Später, wenn alles überstanden ist. Er hatte recht bald die Inkonsequenz in
diesen Überlegungen erkannt. Und seitdem vermeidet er jegliche gedankliche
Auseinandersetzung mit dem Problem Copyworld . Ihm ist zumute wie einem, der
seine Götterstatue nicht mehr putzen darf aus Furcht, die Blattgoldschicht vom
schnöden Stein zu reiben, und der nun tatenlos mitansehen muß, wie ätzender
Vogelkot das Antlitz des Gottes zerfrißt.
Rhomega hatte noch etwas anderes
gesagt, als Hyazinth sich beklagte, er sei doch bereit, auf alles zu verzichten
für Tauphi, wisse doch, daß Liebe zuallererst Fähigkeit zum Verzicht sei, nur
den Ausschließlichkeitsanspruch kenne und alles Gerede von Freiheit und
Unabhängigkeit scheinheilige Bemäntelung von Egoismus sei.
“Was für ein exzellenter
Blödsinn! Verzicht – was redest du da zusammen? Wie kann Liebe Verzicht
bedeuten? Wäre es nicht infamste Heuchelei, wenn du Bedürfnisse, die mit denen
deiner Partnerin kollidieren, verdrängst, unterdrückst, mit der Rechtfertigung,
es aus Liebe zu tun? Nein, mein Lieber, das ist nicht Liebe, sondern Begehren,
wovon du sprichst! Wahre Liebe kennt keine egoistischen Bedürfnisse, alles wird
klein und unbedeutend vor diesem Gefühl, du selbst hast keinen Platz mehr in
diesen Sehnsüchten, wenn du wirklich liebst. Aufrichtig ist dein Empfinden
erst, wenn du dem geliebten Menschen ohne Eifersucht und Neid Glück mit einem
anderen gönnen kannst. Würdest du dich von ganzem Herzen freuen, wenn Tauphis
Wünsche Erfüllung in den Armen eines anderen Mannes fänden? Tröste dich, ich
bin dazu ebenso wenig fähig. So können nur Götter lieben...”
Als Tauphi nach seiner Hand
greift, wie zufällig, als sei es nur ein Versehen – da zuckt Hyazinth zusammen.
Ihre Finger verschlingen sich mit den seinen. Zuerst stockt ihm das Blut in den
Adern vor Schreck. Für die Zeit eines Herzschlages erstarrt er zu Stein, und
ihm ist, als zöge ihn das eigene Gewicht mitten in die sich unter ihm öffnende
Erde hinein. Dann aber wird ihm plötzlich ganz leicht zumute, in seinem Kopf
perlen kleine Gasbläschen, sprudeln aus dem Champagner, der durch seinen Körper
pulst.
Rhomega dreht sich um, schaut
beide nachdenklich an.
“Ich werde Tremakut wohl besser bitten, euch
als Nachhut einzusetzen, die Idee mit der Stoßtriade war Unfug… Van Zyl ist
nichts für euch.” Er ist nun ganz ernst. “Wir werden Verluste haben. Niemand
weiß vorher, wen es erwischt. Aber wir können für diesen oder jenen zumindest
das Risiko vermindern…”
Hyazinth und Tauphi stehen Hand
in Hand nebeneinander und wechseln einen kurzen Blick.
“Es bleibt dabei: Wir gehen mit
dir!”
Tauphi nickt entschlossen
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