Copyworld: Roman (German Edition)
die einen Tunnel aufsprengt und versucht, Van Zyl von innen zu
erobern. Die Aufgabe ist klar: Wir müssen unbedingt die Kasematten erreichen
und für wenigstens eine Stunde halten. Wenn wir Proteus innerhalb dieser Frist
nicht finden, bekommen wir Probleme. Denkt daran, das wichtigste ist der
Kontakt zu Proteus. Diesem Auftrag ordnet sich alles unter… auch unsere
physische Existenz…”
Die Leute nicken düster.
Von Proteus hat Hyazinth gehört,
er sei der eigentliche Schöpfer von Copyworld gewesen und der erste Dig. Wie Tremakut ironisch lächelnd erklärte,
trüge er seinen Namen völlig zu recht: Proteus - der Wandlungsfähige. Man habe
ihn seinerzeit aus Intrax geholt, der Oberstadt der baltischen Region. Dort sei
er ein äußerst populärer Mann gewesen, vor allem auch, weil er sich unverhohlen
zur Separatistenbewegung Balticanova bekannte. Daß er trotzdem nach Villafleur
geholt wurde, war ein Wunder. Und daß er kam auch. Solche Auszeichnung
widerfuhr nur ungewöhnlich begabten Bürgern der DTEA. Normalerweise galten die
Grenzen der Zentralstadt als das Ende der Welt, und Hyazinth hatte schon oft
bemerkt, daß außerhalb Weltensteins die kuriosesten Gerüchte über das Leben
innerhalb dieser allen Fremden versperrten Mauern wuchern. Proteus hatte
angeblich nur unter der Bedingung eingewilligt, Frau und Sohn mitnehmen zu
dürfen. Allerdings mußte er seinen Sohn zur Erziehung in eine Lebensquelle
geben, wo dieser einen neuen Namen bekam und schließlich auf die Märtyrerschule
delegiert wurde. Proteus erhielt ohne Einschränkungen den Rang eines Hohen Märtyrers,
obgleich er nicht gebürtiger Bürger der Zentralstadt – damals hieß sie noch
Villafleur – war und sein genetischer Status angeblich zu wünschen übrig ließ.
Vermutlich hatte man ihm auch wegen dieses Makels die Genehmigung zur
Digitalisierung erteilt, obgleich sicherlich ein weiterer wichtiger Grund darin
zu sehen ist, daß er der alleinige geistige Vater dieses großartigen Projektes
war. Tremakut hatte noch ein drittes Motiv für diese ungewöhnliche Entscheidung
genannt: Man wollte damit die Popularität eines gewissermaßen nur adoptierten
Märtyrers eingrenzen, denn seine imposanten Reden über Unabhängigkeit und
Demokratie fanden auch in der Zentralstadt viele Anhänger, obwohl er jedesmal
alles widerrief, wenn der Erste Exarch in einem seiner Morgenworte Mißbilligung
erkennen ließ. Nun, das alles war sicherlich nur Revisionistenpolemik, aber
Hyazinth hatte dazu geschwiegen, denn er wollte das Bündnis nicht gefährden.
Auch wenn ihre Ziele und Ansichten sich unterscheiden – die Antisteinisten sind
der irrigen Überzeugung, die Idee von der Große Umkehr sei ein gigantischer
Betrug, während Hyazinth ganz sicher ist, daß alles, wovon Tremakut und Rhomega
berichten, auf das Wirken einer Bande von Verschwörern zurückzuführen sei – so
ist ihr konkreter Feind derselbe, ob sie ihn nun als “willfährige Knechte der
steinistischen Oligarchie” bezeichnen, oder er die Kreatidensoldaten als die
Werkzeuge einer heimtückischen Verräterclique begreift. Die Tatsachen werden
darüber befinden, wer der Wahrheit näherkommt.
Noch marschiert die Abteilung
geschlossen. Die Waffen feuerbereit in den Händen, laufen sie in weit
auseinandergezogenen Reihen, denn das Abweiserfeld hat nun keinen Sinn mehr.
“Sie werden keine Kampfspider
mehr gegen uns schicken”, hat Tremakut gesagt. “Sie warten jetzt im Schutze der
Festungsmauern und verlassen sich auf ihre verfluchte Todesschneise – aber
diesmal werden wir die Schwereschleudern auch gegen die Bunkerwände einsetzen,
damit rechnen sie nicht.” Rhomega hatte finster genickt und gebrummt: “Hoffentlich
sind die Pläne echt. Wenn sie uns Fälschungen zugespielt haben… du weißt, ihnen
macht es nichts aus, wenn wir die Omegahallen treffen!”
Tremakut schwieg daraufhin.
Bisher scheint sich seine
Prognose zu bewahrheiten. Die Wüste heult unentwegt Gottes schaurige Klage – es
ist das einzige Geräusch dieser Augenblicke. Nichts deutet auf einen erneuten
Spiderangriff hin.
Hyazinth geht so dicht neben
Tauphi, daß beider Schultern sich berühren. Sie blickt ihn immer wieder an,
aber irgendeine verrückte Stimme in seinem Schädel befiehlt ihm jedesmal, starr
geradeaus zu schauen. Er könnte sich ohrfeigen, doch es hilft nichts, alles
scheint auf dem Kopf zu stehen: Hatte er noch vor kurzem nichts inständiger
gewünscht, als den Widerschein des Glanzes ihrer unergründlich
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