Copyworld: Roman (German Edition)
vielen Millionen im Panzerschrank
aufzubewahren, als sie in solch einem irrealen Symbol zu sublimieren. Hyazinth
war, als leuchtete ihm das ein. Und er glaubte auch, zu verstehen, daß die
Verherrlichung dieses Götzen zwangsläufig einer Schmähung der ungezählten Opfer
gleichkäme, welche die Menschen in den frühen Jahrtausenden vor der Ära der
Proklamation der Großen Umkehr abverlangt wurden. Einmal nur zweifelte er kurz
an der Erkenntnis – er hörte gerade die Sinfonie vom Werden und Vergehen, und
er sah Bilder, die aus ganz ferner Zukunft kommen mußten, denn die Menschen,
die sich dort begegneten, fragten einander, was noch zu tun sei, um jedem Glück
zu geben ohne Heuchelei und Eigennutz, und sie drängten sich um einen, der
Aufgaben dieserart zu vergeben hatte…
Als er Opal von diesen Visionen
erzählte, wendete der Masterteacher sich ab und sagte sehr leise, was er denn
zu beklagen hätte, er würde doch Märtyrer und könne sein Leben diesem Ideal
widmen. Aber ein weiter Weg sei es bis dahin, und obgleich man schon vor tausend
Jahren glaubte, die halbe Strecke Wegs bewältigt zu haben – es sei gerade erst
ein Schritt getan auf das Ziel zu…
Die Androiden bleiben in einiger
Entfernung vom Landeplatz des Airspiders stehen und lächeln freundlich. Ihre
grünen Uniformen wirken auf Hyazinth jedesmal leicht antiquiert, denn auch an
diesem zweiteiligen Bekleidungsstück ist die Mode der Jahrtausende achtlos
vorübergegangen, und sogar die Sterne und Streifen, welche Rang oder Aufgabe
des jeweiligen Individuums kennzeichnen, gleichen jenen Abzeichen, welche einst
die Krieger früherer Jahrtausende auf ihren Schultern trugen. Anfangs schien
diese Tradition gerechtfertigt, versahen die Androiden doch Dienste, die für
die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung von Bedeutung waren, von
Menschen aber oft nur mit Widerwillen und demzufolge nur gegen unangemessen
hohe Vergütung geleistet wurden. Mit dem Einsatz der auch
Exekutivandroiden oder Kreatiden
genannten Ochsen änderte sich die Lage dank deren erstaunlichen geistigen
Fähigkeiten wie durch Zauberei.
Immer noch lächeln die zwölf Ochsen
zuvorkommend, der mit den meisten Sternen auf den Schultern entbietet den
Märtyrergruß und lädt mit einer dezenten Handbewegung ein, ihm zu folgen.
Hyazinth sieht die Szene zwar mit den Augen des Transmitters, aber bisher
empfand er dies nicht als Einschränkung. Erst jetzt wird ihm wieder bewußt, daß
man ihm nur zeigt, was er sehen soll – denn beinahe schmerzhaft fühlt er das
Verlangen in sich, den Kopf zu wenden, um nach rechts und links sehen zu können.
Da so etwas in der Perzeptorzelle nicht möglich ist, konzentriert er sich auf
die Bewegung, die er gerade noch so am Rande seines Blickfeldes wahrnehmen
kann. Mit zwiespältigen Gefühlen erkennt er, daß die Ochsen eine Eskorte
gebildet haben, ihn – oder vielmehr den Transmitter – wie einen Gefangenen
einschließen. Aber das Geleit hat offenbar nicht die Aufgabe, den Besucher zu
bewachen. Die Ochsen achten mit mühsam verborgenem Mißtrauen auf die Umgebung
und würdigen ihren Gast keines Blickes.
Es geht zwischen Schutthalden und
Trümmerbergen hindurch einem unbekannten Ziel entgegen. Hyazinth hat auf
Vollperzeption geschaltet, um sich nicht das winzigste Detail entgehen zu
lassen, und so spürt er sogar die Schlackebrocken unter den Füßen und den
stechenden Schmerz im Sprunggelenk, als der Transmitter von einer geborstenen
Schaumsilikatplatte abrutscht und umknickt, und er hört den gemurmelten Fluch
als habe er dieses unanständige Wort selbst vor sich hin geknurrt. Der Weg
führt an einem Bunkersilo vorbei, und Hyazinth folgt beeindruckt dem nach oben
gerichteten Blick des Transmitters. Eine steingraue, fugenlose Wand wächst
mächtig in den dunstverhangenen Himmel. Aber nicht die Ahnung von der
Unzerstörbarkeit diese Bauwerks erfüllt ihn mit Ehrfurcht, sondern die
Gewißheit, daß innerhalb dieser Mauern eine gewaltige Masse aus menschlichen
Neuronen und synthetischen Nervenzellen ruht, von schier endlosen Chipketten
durchzogen und einem Geflecht von Nanoprozessoren durchwuchert, in unzählige
Waben unterteilt, damit das halborganische Konglomerat aus intelligenter
Materie nicht unter seinem eigenen Druck zerquetscht wird. Selbst dieser Koloß
ist aber nur ein winziges Teilchen von Copyworld wie eine einzelne Zelle eines
Menschenhirns.
Hyazinth kommt ein Satz des Meisters
Kong Qiu in den Sinn: Ein viereckiges Gefäß ohne
Weitere Kostenlose Bücher