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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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hören ist.
    Allmählich verliert die Düsternis
der Ruinenlandschaft ihren Schrecken, doch liegt das weniger daran, daß
Hyazinth sich an diese Zerstörungen gewöhnt, als an dem zunehmenden Eindruck
von Ordnung in all dem Chaos. Wo gerade noch Schuttberge den Weg markierten,
sind es plötzlich zwar von Löchern übersäte, aber blankgefegte ebene Flächen.
Einige der verfallenen Bauwerke sind notdürftig repariert worden, und sogar die
Straße, auf der sie gehen, wird mit jedem Schritt besser, bis schließlich nur
noch die hellere Färbung die Stellen erkennen läßt, wo Risse und Löcher
ausgebessert wurden. In den Schaufenstern der Ipops liegen säuberlich sortiert
die Waren - nur Menschen sind nirgends zu sehen.
    Immer noch ärgert sich Hyazinth
über den Transmitter, dessen Blicke ziellos und gedankenlos umherirren.
Offenbar handelt es sich um einen Anfänger. Dafür spricht auch, daß im
Perzeptionsbild plötzlich lauter Sperrsignale aufleuchten, als Hyazinth die
Persönlichkeitsidentifikation vornehmen will. Der Mann möchte seine Gedanken
und Gefühle nicht preisgeben und hat die Totalidentifikation gesperrt. Hyazinth
hätte sonst die Möglichkeit gehabt, die Vorführung so zu erleben, als sei er
selbst der Abgesandte Villafleurs – wegen der Sperrung fühlt er sich jedoch wie
eine Marionette, deren Fäden zwar die Leitungen   für die Lebenskraft sind, die über sie in den hölzernen Körper strömt, zugleich
aber auch Fesseln, mit denen sie an einen übermächtigen höheren Willen gebunden
ist.
    Links und rechts ragen die
steingrauen, fugenlosen Wände der Bunkersilos in den Himmelsdunst. Obwohl der
kleine Trupp sich im Schatten hält, spürt Hyazinth die brütende Hitze trotz der
frühen Morgenstunde. Dabei wird ihm klar, daß es sich um eine Aufzeichnung
handeln muß, denn in Driftonas müßte die Sonne längst wieder sinken, wenn sie
in Villafleur gerade erst aufgegangen ist.
    Plötzlich bleiben die Ochsen
erneut stehen, starren nach oben und schnattern aufgeregt. Der Transmitter
mustert jedoch weiterhin mit ungetrübter Schadenfreude die rotgesprenkelte
Glatze des einen, und Hyzinth wird langsam wütend. Dann endlich bequemt sich
der Mann, in die Richtung der ausgestreckten Zeigefinger zu blicken. Eine zweite
Inschrift glänzt hoch oben an der grauen Wand, frischer noch als die erste:
Deutlich erkennbar läuft die Farbe in blutigen Tränen über den grauen Stein,
und irgendwie erinnert dieses helle Rot Hyazinth sofort wieder daran, daß
hinter diesen Mauern Leben ist, Abermilliarden Schicksale in Abermilliarden
Welten ihren Lauf nehmen. Die Schrift erweckt den Anschein einer klaffenden
Wunde im Leib eines unvorstellbaren Ungeheuers, und erst jetzt liest er die
Worte:
    Wer seine Pflicht kennt, sich ihr
aber entzieht, ist ein Feigling!
    Kapitel zwei, Spruch
vierundzwanzig, denkt Hyazinth. Diesen Satz des Meisters kennt jeder Märtyrer.
Warum regt das die Ochsen derart auf? Nun gut, es darf nicht zugelassen werden,
daß jeder Bürger seiner Begeisterung für die Lehre des Kong Qiu auf solche
Weise Ausdruck verleiht, aber hier stört es doch niemanden. Die Ochsen beraten
sich kurz und kommen offenbar zu dem Schluß, daß man diese Inschrift nicht ohne
technische Hilfsmittel entfernen könne. Der mit den Sternen auf den Schultern   entschuldigt sich für den Mangel an
ästhetischem Empfinden der Einwohner von Driftonas – wie er es nennt – und
erklärt, dies sei eine allgemeine Erscheinung in Städten, die unmittelbar vor
der Abschaltung stünden. Dann schließt sich der Kordon noch enger um den
Transmitter, und Hyazinth kann in den Gesichtern der Exekutivandroiden höchste
Anspannung lesen. So lächerlich ihm das Ganze scheint – irgendwie ist es auch
unheimlich. Nur Kleinigkeiten sind es, die solch eine Stimmung in ihm erzeugen:
Die frischen Lettern aus roter Farbe, die völlige Leblosigkeit ringsum, die
Nervosität seiner Begleiter – alles paßt überhaupt nicht zueinander, wirkt aber
irgendwie beängstigend. Dieses Gefühl schwindet jedoch bald wieder, je weiter
sie vorankommen. Die Straße erscheint angesichts der sich zu beiden Seiten
auftürmenden Kolosse der Bunkersilos wie eine schmale Gasse, die sich verloren
durch die schmucklose Architektur von Copyworld windet. Überall nur steile
graue Wände, kaum gelangt ein Sonnenstrahl bis zum Boden. Wo das grelle Licht
aber scharf umgrenzte gleißende Flecken in das Halbdämmer brennt, weichen sie
diesen vorsichtig aus.
      Irgendetwas hat sich

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