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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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gespeicherten Algorithmus, nach dem der Ochs Florilegium Novum die Sinfonie
komponiert hatte. Es war eine wahre Sisyphusarbeit, denn Florilegium hatte alle
jemals vom Menschen ersonnene Musik untersucht und unzählige Invariablen
gefunden, aus denen er die Vorschrift für sein Werk ableitete. Der
mathematische Apparat dieser Schöpfung war zweifellos ein Meisterwerk – aber es
war ein mathematischer Apparat.
    Holunder mußte anerkennen, daß
Florilegium kein Künstler war, denn der Ochs hatte unumwunden zugegeben, nur
die Summe des ihm zugänglichen menschlichen Fühlens algorithmiert zu haben.
Wenngleich diese Summe auch so beträchtlich war, daß kein Menschengehirn sie
hätte fassen können.
    Überhaupt sind alle Ochsen, die
Hyazinth kennengelernt hatte, ausgesprochen gutmütige Geschöpfe, vor denen sich
niemand fürchten muß, und wenn manch einer ihr Bestreben, den Menschen und
seine Wünsche unbedingt verstehen zu wollen, als subversive Tendenz auffaßt, so
ist das nachweisbar Mißtrauen in die eigenen seelischen Abgründe, die ganz zu
Unrecht auch der selbstgeschaffenen Kreatur unterstellt werden. Das ist wohl
die ewige Furcht vor dem unsterblichen Mephistopheles, dem der Mensch seit
jeher viel näher war als all seinen Idolen und Göttern.
    Nein, vor den Ochsen fürchtet
sich Hyazinth keineswegs, aber sein Vertrauen in die Menschen ist nicht gar so
fest wie es die Lehre des Kong Qiu fordert.
    Als der die heranwatschelnden
Maschinen betrachtet, wird ihm erneut der völlige Mangel an Individualität
bewußt. Alle haben das gleiche, gutmütige Vollmondgesicht, der aktuellen Mode
zwar völlig widersprechend, jedoch ein geradezu befremdliches Gefühl von
Vertrautheit und Zuverlässigkeit erzeugend. Weiß der Teufel, wieso die Ochsen
ihr äußeres Erscheinungsbild in den zwei- oder dreihundert Jahren ihrer
Existenz nicht auffällig veränderten. Wenigstens ihren Körperbau hätten sie
optimieren können, aber auch in dieser Hinsicht erwiesen sie sich als sture
Traditionalisten und blieben bei der leicht untersetzten, etwas bäuchigen Figur
mit kaum zu verhehlenden Fettschichten auf der Peripherie. Eigenartig ist vor
allem, daß diese seit eh und je als höchst unattraktiv geltende
Erscheinungsform – die von einem lichten Haarkranz gesäumte, spiegelglatte
Kopfhaut kommt noch dazu – alle Stürme und Ausbrüche der unentwegt gärenden
Modeszene unbeeindruckt überstanden hat. Es gab genug Erklärungsversuche. Einer
sagte, das sei das in Urzeiten der männlichen Dominanz gewachsene Ideal, ein
echter Triumph über biologische Determinismen der Partnerwahl, weil solcherart
Typ gewisse Eigenschaften gewährleistete, die wesentlicher waren als hoher
Wuchs und dichte Behaarung, die zweifellos den Höhlenmenschen priviligierten,
aber in der Zivilisation jeden praktischen Wert verloren. Allerdings erläuterte
der Autor dieser Variante nicht, weshalb Ochsen ausschließlich dem männlichen
Geschlecht nachempfunden waren.
    Ein wenig glaubwürdiger erscheint
Hyazinth die Begründung, daß die Schöpfer der Urochsen nach dem Prinzip des
Spinoza verfuhren, der gesagt haben soll: “Das Dreieck, könnte es reden, sagte:
Gott ist hervorragend dreieckig.”
    Was aber immer noch nicht
erklärt, warum die Ochsen – der autonomen Umgestaltung ihres Selbst fähig – bei
der Figur des dicklichen Glatzkopfes mit dem traurigen, sympatischen Blick aus
irgendwie verklärten Schimmeraugen blieben. Hyazinth kommt da immer ein Bild in
den Sinn, das sich in seinen wesentlichen Zügen bis in nicht allzu ferner
Vergangenheit im Bewußtsein der Menschen gehalten hatte: Ein ausgemergelter,
mitleiderregender Mann an einem Gerüst aus Holzbalken. Dies sollte angeblich
das Zeichen der Vergebung und der Zuversicht sein. Hyazinth begriff lange
nicht, wie man einen zu Tode gemarterten Menschen zum Inbegriff des Verzeihens
machen konnte, wo es doch ein Bild ist, das Haß und Auflehnung bewirken muß.
    Doch als er die verschiedenen
Geschichten über diesen Mann las, da erwachte in ihm eine Ehrfurcht vor den
Menschen vergangener Jahrtausende, die ihn beschämte. War es doch wirklich das
Sinnbild des Menschen, der vom Menschen geboren ward, um für Menschen sterben
zu müssen – ein großartiges Gleichnis auf das Werden und Vergehen, auf die
Erkenntnis der Gesetze dieser Welt. Opal erklärte ihm dann, daß ein Mythos
nicht für das reale Leid vieler Millionen Helden stehen kann, und daß es immer
noch besser wäre, die Namen von

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