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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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geistig kaum noch von den Wechseltierchen zu unterscheiden, da die immer
schneller aufeinanderfolgenden Umgestaltungen nur wenig Platz für andere
Gedanken ließen. So steht es geschrieben.
    Hyazinth wünscht sich voller
Ingrimm,   daß der Transmitter die Fäuste
ballen möge – so juckt es bei den Gedanken an die Ahnen in seinen Fingern.
Stattdessen wischt sich der   Mann die
schweißnassen Hände am Vollkörpertrikot ab, und Hyazinth steigt die kribbelnde
Wut bis in die Schultern.
    Hyazinth hat im Gegensatz zu
diesen Bemitleidenswerten Glück gehabt. Abgesehen von den Wachsschuppen ist er
kerngesund und erwartet die Reinheitsweihe. Er gilt als gutaussehend. Zwar wäre
ein wenig Mehr an Körpergröße seiner Erscheinung nicht abträglich, doch ist er
nicht so klein, daß er in einer beliebigen Menschenmenge auffallen würde, ganz
anders als Rutila, deren von mattem Patinaglanz schweres Blond auch über dem
dichtesten Gedränge sofort auszumachen ist. Hyazinths in dichten, filzigen
Kringeln bis auf die Schultern fallendes Haar wirkt aus der Ferne wie eine
derbe Strickmütze von der Farbe verwitterter Buchenrinde – ein seltsam stumpfes
Grau, das wie eine Mischung aus allen nur denkbaren Farbtönen erscheint. Aus
der Nähe betrachtet zeigt sich ein feines Gespinst dunkelblonder, dünner
Strähnchen, deren Silberglanz lediglich durch unerklärliche Lichtreflexe
zustande kommt. In den Jahren seiner Kindheit beherrschte die schmale, leicht
gebogene Nase das gesamte Gesicht und war Ursache mancher Hänselei. Doch hatte
die Natur ein gnädiges Einsehen und beendete das beängstigende Wachstum dieses
Organs, als es jene Größe erreicht hatte, die einem Männergesicht einen kühnen,
verwegenen Zug gibt. Dafür entwickelte sich seine früher etwas fliehende Stirn
zu einer hoch über die Augenbrauen emporsteigenden, sanft sich rundenden
Fläche, hinter der man allerhand große Gedanken zu vermuten geneigt ist, und
unter der ein argloser, doch immer fragender Blick in einem merkwürdigen Grün
glitzert, das wie aus Meerwasser und dem Gelb der Wüste gemischt scheint, hell
und gläsern. Dieser Glanz wie von einer erstarrten Glasschmelze ist das auffälligste
in seinem Gesicht, und manch einer senkt verwirrt den Kopf, wenn Hyazinth ihm
unbefangen in die Augen blickt. Oft grüßen oder winken Leute, die er gar nicht
kennt, denen er gedankenversunken in ihre Gesichter schaute, meist schreckt er
dann aus seiner Versunkenheit und bemerkt die Ratlosigkeit der anderen, die
sich durch seinen glänzenden Blick getäuscht sahen. Vermutlich ist es nicht nur
dieser Blick. Um seine Lippen spielt immerzu ein Ausdruck, den viele Leute für
ein freundliches Lächeln halten, der aber vielmehr ein Zeichen höchster
geistiger Anspannung ist. Die sonst etwas herabhängenden Mundwinkel schieben
die Haut der Wangen dann zu zwei feinen Falten zusammen. Hyazinths Lächeln
sieht ganz anders aus: Die Oberlippe wölbt sich erst vor und schnellt dann nach
oben, wobei sie das Gebiß entblößt. Dabei rutscht der Unterkiefer zurück, und
die volle Unterlippe verschwindet unter den blitzenden Schneidezähnen.
Vermutlich ist auf sein Lächeln der unbestreitbare Erfolg seiner Witze
zurückzuführen, obgleich er ein schlechter Erzähler ist, sich dauernd
verhaspelt und in umständlichen Erklärungen verirrt. Allerdings befürchtet
Hyazinth seit einiger Zeit, daß gerade dieses Lächeln auch Anlaß einiger
trauriger Erfahrungen im Umgang mit dem anderen Geschlecht war. Jedenfalls
sagte Jade kürzlich, er solle nicht so blöde grinsen, als er ihr zärtliche
Worte zuflüsterte. Alle seine Versuche aber, die Motorik der Gesichtsmuskeln zu
kontrollieren, haben noch entmutigendere Folgen. So gibt es für Hyazinth nur
einen Weg, der Lächerlichkeit zu entgehen: Er muß Heiterkeit meiden und an
ihrer Stelle Nachdenklichkeit üben.
    Im Augenblick jedoch ist Hyazinth
jede Heiterkeit fern, und auch für tiefes Nachsinnen läßt der Zorn keinen Raum.
Eine Frau mit gräßlich deformiertem Kopf sieht ihn gleichgültig an. Da hebt der
Transmitter die Hand und bedeutet den Ochsen, daß er mit dieser Frau zu
sprechen wünscht. Als sie schwerfällig auf ihn zu schlurft, dabei eigenartig in
der abgeknickten Hüfte schaukelnd, verflucht Hyazinth die unbeteiligte Neugier
des Transmitters, dessen Blick unverwandt auf das verzerrte Gesicht geheftet
ist. Würde er doch wenigstens für eine Sekunde zur Seite schauen! Nein, der
Mann starrt erbarmungslos auf den mißgestalteten

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