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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Kopf, dessen linke Hälfte wie
eingetrocknet wirkt, als wäre sie aus unerklärlichen Gründen
zusammengeschrumpft.
    Zwei Ochsen führen die Frau,
stützen sie behutsam.
    Plötzlich hört Hyazinth eine
Stimme. Sie fragt die Frau, ob sie sich freue, nun endlich an der Reihe zu
sein. Hyazinth hat das Gefühl, als habe er selbst diese taktlose Frage
gestellt, und da wird ihm bewußt, daß es die Stimme des Transmitters war.
    Die Frau nickt müde und sagt, daß
dieses Leben eine Qual gewesen wäre und sie seit vierzig Jahren an ihrem
Programm für Copyworld gearbeitet habe. Dann wird der Klang ihrer Worte eine
Spur kräftiger, als sie fragt, warum Leute wie sie nicht bevorzugt abgefertigt
würden, bei den anderen wäre es doch nicht so eilig, und es fiele doch nicht
ins Gewicht, wenn die wenigen - .
    Die letzten Worte konnte Hyazinth
nicht mehr verstehen, denn die beiden Ochsen, die während der wenigen Sekunden
mit dem Ausdruck höchster Wachsamkeit zuhörten, führten die Frau plötzlich
wieder zurück in die Schlange, dabei freundlich auf sie einredend.
    Sie verhalten sich menschlicher
als der Transmitter! geht es Hyazinth durch den Sinn. Der eine Ochse streichelt
der Frau sogar sachte den Oberarm und bleibt noch ein Weilchen bei ihr stehen,
spricht mit ihr über irgend etwas Erfreuliches, denn die Frau lacht leise auf.
Überhaupt scheint zwischen den Menschen aus Driftonas und den Ochsen ein sehr
gutes Verhältnis zu bestehen. Vielleicht liegt das doch an dem antiquierten
Habitus dieser Wesen, überlegt Hyazinth, diese uralte grüne Uniform mit den
glänzenden Sternen und Knöpfen, die untersetzte, dickliche Figur und die von
schütterem Haarkranz gesäumte Glatze…
    Die Menschen neigten seit jeher
dazu, zum Alten, vermutlich Bewährten, mehr Vertrauen zu fassen als in das aus
ewigem Wandel immerzu veränderte Neue.
    Aber die Idee von der Großen
Umkehr ist so gewaltig, daß selbst der Gleichgültigste von ihr begeistert wird,
denkt Hyazinth frohgemut, und anders könnten wir sie auch gar nicht
verwirklichen. Welch eine große Tat ist es doch, diesen bedauernswerten
Geschöpfen den Weg in ein Reich unermeßlichen Glücks zu ebnen, den einzig
möglichen Weg, der aus ihrem Elend führt!
    Hyazinth hat sich wieder gefangen
und findet im wachsenden Bewußtsein vom edlen Sinn seiner Aufgabe zu altem
Märtyrerstolz zurück. Welch eine Ehre ist es, sich für die Rettung von
Abermilliarden leidender Menschen opfern zu dürfen!
    Ihm entgeht nicht der Tumult am
gegenüberliegenden Ende des Platzes, er mißt ihm aber keine Bedeutung bei. Kaum
erkennbar wegen der Entfernung wogt dort drüben eine Menschenmenge, wird von
einer dreifachen Ochsenreihe abgedrängt, die Mühe hat, der offenbaren
Begeisterung der Leute Herr zu werden.
    Das ist wieder einmal eine dieser
furchtbar überflüssigen, gestellten Propagandakundgebungen! erkennt Hyazinth
sofort und würde erheitert lächeln, wenn er nicht auf der Liege der
Perzeptorzelle festgeklammert wäre. Der Transmitter wendet schnell den Kopf,
aber Hyazinth hört Fragmente eines mächtigen Sprechchors, der ab und zu in
hämmernden Stakkato das Brausen über dem Platz übertönt. Obwohl er nicht darauf
achtet, dringen einzelne Wortfetzen in sein Bewußtsein: “…genug Betrug… nach
wahrem Leben streben…”
    Unwillkürlich versucht Hyazinth
zu nicken, scheitert jedoch an der verkrampften Haltung des Transmitters, der
plötzlich hastig den Rückweg antritt. Eigentlich schade, daß er sich diese
mächtige Manifestation des Vertrauens entgehen läßt, denkt Hyazinth. Was
könnten sie dort rufen? Nach wahrem Leben streben … das ist deutlich ein
Bekenntnis zur Idee von der Großen Umkehr. Selbst wenn diese Aktion nicht spontan,
sondern sorgfältig geplant zustande kam, es ist doch irgendwie beeindruckend,
immer wieder…
    Hyazinth hat den kleinen,
abfälligen Gedanken von der Überflüssigkeit längst vergessen, und sein Denken
ist eins mit der Lehre.
                                                              
    Er lag nach diesem Bericht aus
Driftonas noch eine Weile in seiner Perzeptorzelle und überlegte. Obwohl er
solche Aufzeichnungen schon dutzendfach perzipiert hatte, gelangte er letztlich
immer wieder zu der Auffassung, daß man so etwas nicht oft genug sehen könnte,
und schämte sich jedesmal seiner überheblichen, hochfahrenden Eitelkeit, mit
der er die Perzeptorzelle betrat. Diese Berichte sind wichtig, dachte

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