Copyworld: Roman (German Edition)
er
reumütig, vor allem auch für solche Begriffsstutzigen wie Holunder. Nur eines
verstand Hyazinth nicht: Der Sprechchor hatte irgendetwas von alle Macht der
Parafraktion gerufen, diese Worte hatten auch an der Wand gestanden. Hyazinth
hatte es gerade noch so gehört, und als sie an dem breitgeschmierten Farbklecks
vorbeikamen, fiel ihm die Reaktion der Ochsen ein. Das war seltsam. Weshalb
waren sie so aufgeregt gewesen? Und was ist das überhaupt - die Parafraktion??
Hyazinth schlendert
gedankenversunken durch den dämmernden Abend. Von Ferne hört er bereits das
Glucksen und Schmatzen der Reinigungszüge. Der Steinpark wird immer schon am
Nachmittag gesäubert, damit die Märtyrer jede kostbare Minute des Abends
lustwandelnd, umgeben von den schönsten Dingen der Natur, verbringen können. In
der Stadt kann man die riesigen Mollusken noch lange nach Sonnenuntergang durch
die Straßen gleiten sehen. In Ketten zu fünft oder zu sechst bewegen sie sich
fast lautlos von einem Ende Villafleurs zum anderen, saugen dabei den milchigen
Schleim auf, zu dem die abgestorbenen Schwefelbakterien zerfallen. Diese
bizarren Wesen sind ebenfalls Nachkommen einer Jupiterart, haben ihre Gestalt
aber stark gewandelt, den irdischen Verhältnissen angepaßt. Der entfernten
Ähnlichkeit mit einer Rippenqualle verdanken sie ihren Namen – Zöloplan. Ohne
die Zöloplane würde Villafleur in einem Kloß stinkenden Schleims ersticken,
denn jeden Tag, wenn die Sonne steigt und die Temperaturen bis zu hundert Grad
erreichen, wiederholt sich ein unheimlicher Vorgang: Wie aus dem Nichts quillt
eine Flut von Archaebakterien, die nur auf diese Stunde gelauert zu haben
scheinen. Sie überschwemmen die Stadt wie ein Unwetter, nichts vermag sie
aufzuhalten. Der Schwefel der Atmosphäre und die hohen Temperaturen bieten
ihnen für Stunden ideale Lebensbedingungen – wenn aber die Sonne sinkt, stirbt
der Teppich aus unendlich vielen Mikroorganismen ab. Die von der Radioaktivität
der Roten Wolke mutierten Bakterien haben die Fähigkeit zur Sporenbildung
verloren und erfrieren bereits bei Wärmegraden, die für den Menschen noch
gefährlich sind. Zurück bleibt eine rasch zu stinkendem Schleim gerinnende
Schicht toten Plasmas, Tag für Tag.
Als Hyazinth in eine breite, von
Skulpturen gesäumte Allee einbiegt, sieht er eine Zöloplankette auf sich
zukommen. Die Straße, durch die er bisher ging, ist bereits gereinigt worden,
also wartet er, statt sich die Füße mit dem zähen, schon gelierenden Schleim zu
beschmutzen. Nur noch wenige Dutzend Meter haben die Zöloplane zurückzulegen,
hinter ihnen glänzt die Allee, als sei sie frisch lackiert worden. Das ist ein
feiner Überzug der antibiotisch wirkenden Verdauungsrückstände der
Riesenorganismen.
Wie gewaltige Klumpen aus
Götterspeise gleiten die Zöloplane auf Hyazinth zu. In ihren zitternden,
buckligen Leibern, die einen Menschen um dessen doppelte Größe überragen,
erkennt Hyazinth die dunkelrot glimmenden Organe, die wie geheimnisvolle
Schläuche und Fäden anmuten. Ein wenig unheimlich sind ihm diese Geschöpfe
schon, obgleich sie einem Menschen nichts zuleide tun können, wie es heißt. Sie
besitzen nur einen einzigen Sinn, mit dessen Hilfe sie den Bakterienschleim wahrnehmen.
Wenn sie zu früh aus ihren Behältern gelassen werden kann es geschehen, daß sie
die Wände der Bauwerke emporklettern, von denen der Bakterienbelag noch nicht
herabgerutscht ist. Wenn sie dann an die Stelle gelangen, wo die schleimige
Schicht zu Ende ist, bleiben sie dort einfach hängen, und es ist schwer, sie
wieder nach unten zu bekommen.
Zu ebener Erde ist es ganz
leicht, sie zu steuern: Man läßt sie einfach durch die Straßen glitschen, bis
sie an einen bereits gesäuberten Abschnitt gelangen. Von da an braucht man nur
mit einer hauchdünnen Schleimspur den gewünschten Weg zu markieren.
Hyazinth sieht den Zöloplanen mit
gemischten Gefühlen entgegen. Eigentlich sollte man diese schmatzenden und
glucksenden Wesen doch lieben, aber zu groß ist der ästhetische Kontrast zur
mineralischen Pracht des Abends. Das Regenbogenleuchten der Gebäude ist zu
einem kristallklaren Flimmern und Blinken angeschwollen, funkelndes Blitzen
prallt gegen die erzene Schwere des wolkenverhangenen Himmels – noch nie hat es
auf der Welt schönere Abende gegeben als die von Villafleur. Hyazinth spürt,
wie die aufgebauschten Filterstopfen die Nasenflügel weiten. Er sollte nicht
mehr länger als nötig im Freien
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