Copyworld: Roman (German Edition)
in ihrem Innern zu dulden.
Ein winziger Schatten flattert
über dem Zöloplan. Federchen! denkt
Hyazinth. Sie greift das Tier an! Vielleicht gehört die Passivität zum
Abwehrverhalten dieser Wesen? Tatsächlich kann er relativ gut erkennen, wie
sich seine kleine Fadenspinne immer wieder todesmutig auf den Gallertberg
stürzt. Jedesmal blitzen dabei weißblaue Funken auf, und Hyazinth erkennt für
einen kurzen Augenblick – wenn sie ganz nahe ist – das Gesicht Federchens, aus
deren Mundöffnung die elektrischen Entladungen sprühen. Ihre Lippen , mit denen
sie die winzigen Blitze erzeugt, zucken und flattern wütend. Hyazinth vergißt
für Sekunden die vermeintliche Gefahr, in der er sich befindet und gibt sich
ganz dem Gefühl der Rührung hin. Niemand besitzt eine so anhängliche
Fadenspinne wie er.
Erneut verucht er, sich aus der
Masse zu befreien, die ihn wie puddingartiger Gallert unter einem dünnen,
samtigen Häutchen einschließt. Aber es bleibt dabei, sobald er sich bewegt,
verhärtet die Substanz um ihn herum, wird schließlich so fest wie Stein, als
sei es wirklich erstarrte Glasschmelze. Wieder tritt ihm der Schweiß aus allen
Poren. Vielleicht sollte er Federchen befehlen, den Koloß in Frieden zu lassen?
Er brüllt los, bevor der Gedanke zu Ende gedacht ist. Die Fadenschaumspinne
scheint ihn auch zu hören: Einen Moment verharrt sie, und die Gehörtrichter
pendeln erregt auf und nieder. Dann aber stürzt sie sich mit doppelter
Angriffswut auf den Zöloplan. Verzweifelt ruft Hyazinth immer wieder, sie solle
endlich damit aufhören, aber jeder Ruf verstärkt nur ihren Eifer. Schließlich
gibt Hyazinth auf. Fadenschaumspinnen sind eben nicht nur sehr zärtliche
Geschöpfe, sie sind auch sehr dämlich.
Da bemerkt Hyazinth einen
zweiten, merklich größeren Schatten. Der grünliche Fleck springt auf der
Kreuzung zwischen der Steinpark-Straße und der Skulpturenallee wie aufgezogen
hin und her, bückt sich, hält inne und entfernt sich wieder. Noch einmal brüllt
Hyazinth aus Leibeskräften. der Schatten hört ihn! Direkt vor dem Zöloplan
richtet sich eine menschliche Gestalt zu voller Größe auf und winkt.
Hyazinth seufzt erleichtert.
Schon setzt sich der Gallertberg wieder in Bewegung, umströmt Hyazinth warm und
sanft als sei nichts geschehen. Kein Zeichen deutet darauf hin, daß er dem
Menschen etwas antun wollte. Eine Minute vergeht, und er ist endlich wieder
frei. Etwas Unsichtbares zerrte sachte an ihm, dann war es, als platzte eine
dünne, ihn umgebende Schale – und er stand außerhalb der Molluske, die sich in
gleichmäßigem Tempo von ihm entfernt, als könne sie nichts erschüttern.
“Frohe Umkehr!” kräht ihm der
Ochse begeistert entgegen, der mit einem auf den Schultern befestigten
Sprühgerät fünf dünne Schleimstriche auf die bereits gereinigte Oberfläche der
Steinparkstraße gezeichnet hat, denen die Zöloplane nun unbeirrbar folgen.
Darauf springt das grün uniformierte Wesen winkend und mit einem letzten
freundlichen Nicken von dannen, wohl, um eine Straßenecke weiter seine Arbeit
fortzusetzen. Auch die Gallertorganismen verschwinden auf der anderen Seite der
Kreuzung im Dunkel der an der Peripherie Villafleurs gelegenen Skulpturenallee.
Auf einmal wird Hyazinth alles
klar: Die Zöloplane hatten das Ende des Schleimbelages erreicht, waren an der
Kreuzung mit der bereits gereinigten Steinparkstraße stehengeblieben. Er aber
war nur wenige Schritte in die Skulpturenallee hineingegangen, und so saß er in
dem plötzlich verharrenden Gallertberg fest.
Er lacht befreit auf und pfeift
nach Federchen, die den Zöloplanen blindlings gefolgt ist, in ihrem
Kampfeseifer gar nicht bemerkt hat, daß ihr Herr längst in Sicherheit ist. Wie
ein Kugelblitz kommt die Fadenschaumspinne herangefegt, während die
Riesenmollusken jenseits der Kreuzung behäbig durch die Skulpturenallee
gleiten. Aufgeregt zwitschernd läßt Federchen sich in Hyazinths Nacken nieder,
auf ihrem Lieblingsplatz. Dort rollt sie sich um seinen Hals und zirpt
zärtlich.
Als Hyazinth nach der lose herab
hängenden Platinkette greift, macht er eine erstaunliche Entdeckung: Die
Wachsschuppen auf den Handrücken sind zu weißlichen Blättchen abgetrocknet, die
sich leicht abheben lassen. Darunter glänzt junge, rosige, gesunde Haut! Ein
überraschter Ruf entfährt ihm, denn gerade um diese Tageszeit sind die lästigen
Auswüchse für gewöhnlich prall mit Blut gefüllt! Verwirrt schüttelt er den
Kopf. Sollte der
Weitere Kostenlose Bücher