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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Vater
geliebt. Ein Herrscher muß so handeln, dachte er damals. Schließlich langten
auch die Bauern derb zu, wenn es galt, Jünglingen Männerstiefel anzupassen. So
war die Welt nun einmal eingerichtet, und solange Ealtheas Pendel die Zeit
Schlag für Schlag vorantreibt, wird es nicht anders sein.
    Nur eine Bedingung hatte Curdin
gestellt: Für jede Stunde im Dorf sollte Derek eine Stunde bei Muhme Aja sitzen
und lernen, die Geheimnisse von Ealtheas Schöpfung zu verstehen. Aja war eine
gute und geduldige Lehrerin, aber ohne Eiriks Weisheit und die Geschichten der
Alten im Dorf, ohne seine Streifzüge durch Berge und Fjorde an der Seite des
Schmiedes, und bar jeder Kenntnis des Werdens und Vergehens im Leben einfacher
Leute, hätte er wohl kaum die Hälfte von dem verstanden, was Aja ihn lehrte.
Und ohne Andel hätte er wohl nie erfahren, was Liebe ist...
    “Aber du bist doch von Ealtheas
Fleisch und Blut!” hatte sie ängstlich gesagt, als er sie das erste Mal küßte.
“Wird sie uns nicht bestrafen, wenn du dein Herz einer schenkst, die nur aus
Erde und Wind gemacht ist?”
    Derek lächelt bei dieser
Erinnerung. Wie hatte er selbst darauf gewartet, daß Blitz und Donner den
Himmel zerreißen würden, als er seine Lippen ungeschickt auf Andels Mund
preßte. So befangen war er noch im Menschenwort, zu dem die Generationen die
Taten der Götter gemacht hatten.
    Er zitterte mindestens ebenso wie
Andel vor Furcht, aber schon damals war sein Trotz stärker als seine Demut:
Auch Ealthea war einst ein Mensch, ein Fischermädchen, aus wogenden Wassern und
wütendem Sturm geschaffen, und gerade sie hat der Herr der Zeit erwählt. Weil
keine andere da war, hatte Aja – mahnend, seinen widerbostigen Sinn spürend –
erklärt.
    Na und?   hat er sich gesagt. Auch für mich ist keine
andere da, außer Andel – wie also kann es Frevel sein, so zu tun wie der Herr
der Zeit?
    Muhme Aja hatte ihm nur tief in
die Augen geschaut und geseufzt. Aber das sorgsam in den Falten ihres Gesichtes
versteckte Lächeln war ihm nicht entgangen, und dann hat sie mit ihrer
brüchigen Stimme das Hohelied der Urmutter gesummt, in dem es heißt:
    Was ist der Himmel ohne Erde
      Und was das Ufer ohne Meer,
    Was ist der Hirte ohne Herde,
    Wie stark ein Feldherr ohne Heer.
    Wie kann die Frau sein ohne Mann,
    Und wo ist Werden ohne Wille,
    Denkt ihr Menschen stets daran.
    Seht auf die Welt und haltet
stille...
    Derek hat die Schmiede fast
erreicht, da fliegt polternd die aus dicken Bohlen gezimmerte Tür auf. Aber
nicht Andel steht in der vom flackernden Holzkohlefeuer erhellten Öffnung. Das
hat Derek auch nicht erwartet. Seine Geliebte sitzt sicher mit leuchtenden
Augen in der Mädchenkammer, wie es sich geziemt, und wartet ungeduldig darauf,
daß der Vater sie ruft. Auch im Leben der einfachen Leute gelten strenge
Regeln, und manchmal schon dachte der junge Großherr von Seemark, daß die Ehre
der Bauern und Handwerker nicht geringer zu achten sei als die der Edlen, denn
viel sorgsamer und mit deutlicherem Stolz fordern die Fünfeckener die
Einhaltung ihrer Sitten, als manch ein Hochgeborener, deren viele meinen, ihre
Herkunft sei Ehre genug und Rechtfertigung für ein Benehmen, daß den
Wollschweinen in Eiriks Stall besser zu Gesicht stünde als einem in kostbare
Gewänder gekleideten Herrn.
    Eirik hält mit einer Zange eine
rotglühende Leibsensenklinge. Er lächelt breit, sein kahler Schädel glänzt vor
Schweiß, der an den Nasenflügeln über die grobporige Haut läuft und vom Kinn
tropft.
    Seine andere Hand hält einen
schweren Hammer und beschreibt eine einladende Geste.
    “Tritt ein, Großherr von Seemark,
und hämmere dir die Kälte aus dem Leib!” ruft er dröhnend.
    “Oh nein, Eirik, diesmal nicht”,
wehrt Derek schnell ab, “heute habe ich mir schon so viel Kälte aus den Knochen
geschlagen, daß es für einen ganzen Winter reicht.”
    Wie oft hat er mit dem
bärenstarken Schmied am Amboß gestanden und Kaskaden von gleißenden Funken aus
dem Eisen getrieben. Beinahe bereitet es ihm mehr Vergnügen, unter wuchtigen
Hammerschlägen Form und Gestalt wachsen zu sehen, als die Leibsense wirbeln zu
lassen.
    “Du siehst müde aus Derek, was
ist geschehen?” fragt Eirik als er die Türe schließt. “Du warst doch nicht ...
auf dem Berg Attanai?”
    Derek läßt sich auf eine grob
gezimmerte Holzbank fallen und nickt stumm. Jetzt erst merkt er es selbst:
Verdammt, ja, ich bin müde, würde mich am liebsten auf dem Boden

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