Copyworld: Roman (German Edition)
Schneewehen, setzt
kräftig über die zahlreichen
zugefrorenen Rinnsale, die im Frühjahr, wenn das Schmelzwasser aus den Bergen kommt,
zu schäumenden Bächen schwellen und im kurzen Sommer vor laichenden Fischen nur
so brodeln.
Sie wollen also wegen Rorik zu
mir, geht es ihm kurz durch den Kopf. Nun, eigentlich hätte ich mich zu
erkennen geben sollen – wenn es um Vaters Mörder geht, ist jede Sekunde zu
nutzen. Aber heute ist nur eines wichtig: Andel. Sie müssen warten.
Doch erfüllt ihn eine ungewisse
Unruhe. Zwar hat ihn das hochmütige Gebaren der beiden Fremden in keiner Weise
gekränkt, und Andorgas konnte er mit seiner Fechtkunst sichtlich beeindrucken,
aber sein Interesse an dem jungen Fürsten ist stärker als er sich eingestehen
will.
Immer noch kreisen seine Gedanken
um die beiden Männer von Tsalla, als schon die spitzen Dächer von Fünfecken aus
dem alles beherrschenden Weiß tauchen. Bereits an der Anordnung der Dächer ist
die seltsame Form des Dorfes zu erkennen. Drei Ringe fünfeckiger Hütten, die
mit je einer Eckfront nach außen weisen, schützen den Dorfplatz im Zentrum
sicher vor den heftigen Winterstürmen. Auch der Grundriß der eingeschossigen
Hütten ist dazu angetan, dem heranjagenden Schnee geringstmögliche
Angriffsfläche zu bieten. Und nicht zuletzt läßt sich das Dorf, das aus der
Luft wie ein großer, vielzackiger Stern wirken muß, aufgrund der Anordnung
seiner Häuser gut gegen Überfälle verteidigen, gleicht fast einer kleinen Burg.
Dunkler Rauch quillt aus der Esse
von Eiriks Schmiede. Eine Schar balgender Kinder läuft auf Derek zu, der sich
lachend eines Hagels von Schneebällen erwehren muß. Plötzlich aber bleiben die
Kinder stehen und das wilde Geschrei verstummt. Sie haben den jungen Herrscher
auch in der einfachen Kleidung eines Kriegsknechtes sofort erkannt, denn anders
gewandet hat man den Großherrn Derek in Fünfecken noch nie gesehen. Die Kinder
senken betreten die Köpfe, und ein schmalgliedriger Jüngling ruft: “Verzeih,
Großherr, wir hielten dich für Fedder, den Knecht...”
“Da gibt es nichts zu verzeihen,
ich werde es euch heimzahlen!” Derek springt aus dem Sattel. Dann fliegen ganze
Batzen des verharschten Schnees zwischen die Kinder, die kreischend
auseinanderstieben.
Derek stapft zur Schmiede
hinüber, aus der es hell und wuchtig klingt, ganz so wie vorhin, als er mit
Andorgas die Kräfte maß. Hier in Fünfecken fühlt Derek sich mehr zuhause als im
Palast. Seit seiner frühesten Kindheit kennt er jeden Dorfbewohner persönlich.
Blieb er auch immer der Sohn Curdins in den Augen der einfachen Leute, so
gewann er doch rasch ihr Vertrauen: Traf ihn in einer Balgerei ein Hieb, so
vergalt er ihn mit seiner Faust, nicht mit der Macht des Thronfolgers; wollte
er einen Fladen, so bat er darum, statt sich einfach einen zu nehmen. Statt
Dreck und Matsch in die Hütte zu schleppen, stellte seine Stiefel ebenso den
Schuhkasten wie die Dörfler, wenn sie sich am Feuer wärmen wollten; nie setzte
er sich auf die warme Altenbank - wie Cudin es bisweilen tat, wenn er eine
Hütte betrat - sondern kauerte sich immer zu Füßen der Alten auf den
blankgescheuerten Boden, um ihren Erzählungen zu lauschen.
Curdin sah anfangs gleichgültig
darüber hinweg, daß sein Erbe Kindheit und Jugend mit Bauernburschen und
-mädchen teilte. Hatter er doch selbst zum Schmied Eirik ein Verhältnis wie
zwischen guten Nachbarn üblich, weniger eines wie zwischen Herr und Knecht. Und
mit Genugtuung sah er, daß Derek mit Eifer dessen Unterweisungen im
Waffenhandwerk folgte, denn nur ein Mann wußte die Leibsense besser zu führen
als der Schmied von Fünfecken – Rorik, der mißratene Bruder Curdins.
Doch als man Derek bei Hofe nur
noch den Bauernprinzen nannte, da verließ Curdin der Gleichmut, und er
untersagte seinem Sohn weitere Besuche. Für Derek war es, als hätte man ihn in
das finsterste Verließ geworfen. Nicht einmal drei Tage achtete er das Wort
seines Vaters, und der vergalt ihm den Ungehorsam mit der siebenschwänzigen
Dreihornpeitsche. Doch brach er Dereks Willen nicht mit den wütenden Hieben,
sondern stählte ihn. Schließlich gab Curdin nach – es war wohl schon das
dutzendste Mal, daß er den Thronfolger züchtigte – und sagte mild, der künftige
Großherr von Seemark sei mit einem unbeugsamen Willen gesegnet, und er wolle
ihm nicht die Würde aus dem Leib prügeln, denn mehr vemochte die Peitsche
anscheinend nicht.
Trotz allem hat Derek den
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