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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Brust
heftet, die emsig gehätschelt und getätschelt wurden, damit sie drei Zentimeter
weiter springen als der eine oder andere, oder schneller schwimmen, mehr Eisen
in die Höhe stemmen oder oder oder... Nimm es ruhig, für mich hat es seinen
Wert verloren…”
    Hyazinth war wie vor den Kopf
geschlagen. Das Große Kreuz hatte keinen Wert mehr für Opal! Dieser Traum eines
jeden Märtyrers, von Scheinwerferlicht und Fanfarenklängen, Lobpreisungen und
feierlichen Hymnen, vom Funkeln dieses Ordens auf dem eigenen Trikot – diesen
Traum wollte Opal verschenken.
    “Nimm es! Es sind doch nur
Steine, weiter nichts!”
    Betroffen schüttelt Hyazinth den
Kopf. Das darf ich nicht annehmen. Wenn es auch dem Masterteacher nichts mehr
bedeutet, bereits vor einer Zeit mit dieser Auszeichnung geehrt worden zu sein,
zu der es den Jungmärtyrer Hyazinth noch gar nicht gab und hunderte andere,
denen das Große Kreuz für vergleichsweise viel geringere Dienste verliehen
wurde – ihm, Hyazinth, bedeutete es deshalb nicht weniger, seinen geachteten
und geliebten Lehrer im Besitz dieses Ordens zu wissen.
    “Nein, ich lasse mir die
Ehrfurcht vor der Leistung, die mit diesen angeblich wertlosen Steinen geehrt
wurde, nicht verbieten.”
    “Du Schmeichler!” knurrte Opal,
aber der ärgerliche Klang war aus seiner Stimme verschwunden. “Du wirst es noch
weit bringen, wenn du deine Zunge vor dem Exarchen auch nur annähernd so
geschickt gebrauchst.”
    Einen Augenblick war Hyazinth
beleidigt. Nach einem Blick ins unergründliche Schwarz von Opals Augen aber
begriff er, daß es gutmütiger Spott war und kein Vorwurf.
    “Was machen wir denn jetzt?” Opal
Stein schaute seinen Schüler ratlos an, und dieser Ausdruck im Gesicht des
Masterteachers war so ungewohnt für Hyazinth, daß er erheitert lächeln mußte.
    “Bei aller Scheiße dieser Welt!
Du sollst endlich lernen, dir dieses dämliche Gesicht zu verkneifen!” fuhr Opal
ihn an. Hyazinth biß die Zähne zusammen und schnaufte durch die Nase. Es muß
wirklich scheußlich aussehen, wenn es Opal so aufbringt, daß er solche Worte
wählt,   dachte er mit Schrecken.
    Der Lehrer beachtete ihn aber
nicht weiter, sondern trat an das große Bücherregal. Nachdenklich glitt der
Blick seiner Augen über die Folianten, dann meinte er: “Such dir am besten
selbst eins aus! Das wirst du mir doch nicht abschlagen, oder?” Hyazinth bekam
vor Aufregung feuchte Handflächen. “Ich darf es mitnehmen, ins Internat?”
fragte er ungläubig.
    “Du darfst es nicht nur
mitnehmen, sondern auch behalten. Aber nun such dir eins aus. Ich habe nicht
mehr viel Zeit, der Exarch erwartet mich.”
    Auf einmal wurde Hyazinth
schwindlig, als er begriff, was Opal ihm anbot. Dagegen war das Große Kreuz des
Südens tatsächlich von geringem Wert! Die Versuchung war so übermächtig, daß er
nicht widerstehen konnte und alle Gedanken, auch dieses Geschenk taktvoll
abzulehnen, brüsk beiseite schob. Mit einem Satz war er an Opals Seite und
streckte begierig die Hände aus. Um an die Holztafeln heranzukommen, mußte er
einige dicke Lederbände aus dem Regal nehmen.
    Sein Blick blieb auf einem
dunkelbraunen Buch mit einer seltsamen Prägung auf dem Einband haften. Zwei
bärtige Köpfe im Profil, dicht hintereinander und etwas gegeneinander versetzt.
Mega - entzifferte er mühsam, die alte Schrift beherrscht er nicht gut.
Millionen heißt das doch, überlegte er. Ein mathematisches Standardwerk
vielleicht? Aber mitten zwischen philosophischen Schriften?
    Als Opal seinen erstaunten Blick
bemerkte, nahm er ihm das Buch aus der Hand und bemerkte geringschätzig:
“Marx-Engels-Gesamtausgabe... Fundamentalphilosophie des mitteleuropäischen
Spätaltertums. An sich nicht uninteressant, aber längst überholt. Im Gegensatz
zur Lehre des Meisters verfügt diese Denkerschule über keinen aus den
Fundamentalsätzen hergeleiteten Moralkodex – wozu also der ganze Aufwand? Statt
allein das in das Zentrum aller Überlegungen zu stellen, dem einzig dieser
Platz gebührt – den Menschen! – untersuchten diese Forscher ausschließlich die
Zwänge, denen der Mensch ausgesetzt war. Als Subjekt tritt der Mensch bei ihnen
nur in erkenntnistheoretischer Hinsicht in Erscheinung, sonst ist er nur Objekt
auf Bewegungslinien, die die sogenannten gesetzmäßigen Abläufe höchstens
tangieren. Allerdings wagten sie die kühne Prognose, daß einst das menschliche
Bewußtsein die Welt schaffen und formen wird. Eine erstaunliche Erkenntnis

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