Copyworld: Roman (German Edition)
für
damalige Verhältnisse! Sie bereiteten damit der Idee von der Großen Umkehr den
Weg, ohne es zu ahnen. Für uns sind ihre Schriften aber nur noch von
historischem Wert, wir interpretieren und verändern nicht das Bestehende –
nein, diese Phase ist Geschichte: Wir schaffen Welten und damit auch deren
Gesetze. Nimm dir etwas anderes, es ist ein gutgemeinter Rat!”
Unschlüssig schritt Hyazinth die
langen Reihen der Bücher und Rollen auf und ab, nachdem Opal sichtlich enttäuscht
geseufzt hatte, als er die Hand nach einer der Originalschriften der Lun-yu
ausstreckte.
Das verstehe ich, dachte Hyazinth
und schalt sich ob seiner Taktlosigkeit. Natürlich erwartete der Masterteacher
von mir so viel Bescheidenheit, nicht nach dem Kostbarsten zu greifen. Und
eigentlich gab es noch genug anderes, was ebenso reizvoll war wie die Schriften
des Meisters Kong-Qiu. Da standen zum Beispiel zwei dicke Bände des Mannes, der
sagte: “Die Welt ist meine Vorstellung!” Dieser Schopenhauer wird zu recht als
utopischer Märtyrer bezeichnet, denn seine Lehre nahm viel von dem vorweg, was
später zum Gerüst für die Idee von der Großen Umkehr werden sollte. Zu seiner
Zeit jedoch galt er als verschrobener Sonderling, denn die technischen
Möglichkeiten zur Realisierung seines Weltbildes existierten nicht einmal als
phantastische Träumerei. Erst die Erben des Meisters haben diesen Schopenhauer
vom Kopf auf die Füße gestellt – und siehe da: Es entstand ein grandioses
Gedankengebäude, mit dessen Hilfe die ersten experimentellen Weltschöpfungen
gelangen. Hyazinth schwankte, spürte den prüfenden Blick des Masterteachers im
Nacken. Schopenhauer wäre nicht übel, da gibt es womöglich noch Neues zu
entdecken! Wie es oft geschah es, daß
die kluge Interpretation alter Überlieferungen Wahrheiten erschloß, die niemand
in den millionenfach gelesenen Werken vermutet hatte. Das wäre etwas, wenn er –
Hyazinth Blume – einen neuen, brauchbaren Gedanken in diesen Büchern fände!
“Die Welt als Wille und
Vorstellung”, sagte Opal leise den Titel der beiden Bücher als sei es eine
Zauberformel. “Als wir uns für diesen Weg entschieden, war die Bedeutung dieser
Werke noch gar nicht abzusehen…” Dann gab er sich einen Ruck und fuhr laut
fort: “Ich muß jetzt gehen, Hyazinth. Bleibe ruhig, bis du deine Wahl getroffen
hast. Frohe Umkehr!” Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um
und mahnte: “Iß dich morgen früh ordentlich satt, knabbere nicht an den
Fingernägeln, kratze dir nicht dauernd den Handrücken und grinse nicht. Denke daran:
Zähle bis hundert, wenn es dich überkommt…”
Dann war Hyazinth allein. Auf
einmal erlosch sein Interesse für die Bücher, denn da gab es noch etwas viel
anziehenderes. Er blickte fasziniert auf den Stuhl hinter dem
mondsichelförmigen Pult. Ganz allein war er hier oben. Und der Sessel dort, der
war das Symbol der Macht über tausende von Gehirnen…
Heftig atmend ließ Hyazinth sich
in die weichen Polster fallen. Er schloß die Augen und genoß das Gefühl der
Allmacht, das seine Sinne ihm vorgaukelten. Einst würde auch er in einem
solchen Sessel sitzen, und seine Gedanken würden die Taten von Millionen
Menschen lenken… Da begannen die Wachsschuppen auf seinem Handrücken zu jucken,
und er kratzte sich wütend. Vorbei war der Zauber plötzlich, verflogen der
kurze schöne Traum.
Sein Blick fiel wie zufällig
wieder auf die Bücherregale, und plötzlich entdeckte er auf einer ledernen
Schatulle die acht Bagua der uralten ostasiatischen Philosophie, Zeichen aus
drei parallel übereinander angeordneten waagerechten Streifen, die, je nach
Bedeutung, in der Mitte unterbrochen waren oder nicht. Die Trigramme für Erde,
Himmel, Wasser, Feuer, See, Berge, Donner und Wind. Hyazinth sprang auf, sofort
hatte er an der Signatur in der Mitte des Kreises, den die Bagua bildeten,
erkannt, daß es kein Werk des Meisters sein konnte. Aber die Form der
Schriftzeichen verriet, daß die Schatulle etwa aus derselben historischen Ära
stammen mußte. Das war hochinteressant!
Behutsam nahm er die
zusammengebundenen Holztäfelchen aus dem Lederfutteral und zog sie vorsichtig
auseinander. Es war in der Sprache des Meisters verfaßt, aber auf den ersten
Blick sah Hyazinth, daß es andere Worte waren.
sagbar das Dau
doch nicht das ewige Dau
nennbar der name
doch nicht der ewige name
namenlos des himmels, der erde
beginn
namhaft erst der zahllosen
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